Interview der Woche
Noch einmal ratschen

- Weltkultur: Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass Österreichs österliches Ratschen heute zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe gehört. Flügelratschen (wie im Bild unten links) sind die von Franz Ederer am häufigsten gebauten „Krawallmacher“.
- hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion
Franz Ederer. Wenn in der Karwoche die Kirchglocken verstummen, kündigen seine Holzratschen die Auferstehung an.
Auch, wenn es kühl ist in der Werkstatt: Die Frühlingssonne dringt durchs Fenster und taucht Bretterstöße und Maschinen in ein warmes Licht. Nach längerer Abwesenheit ist Franz Ederer heute wieder hier. Er schaut sich um, holt einen zweiten Stuhl und stellt ihn neben die Werkbank, auf der ein Set von Holzteilen auf seine Verarbeitung wartet.
Es sei verrückt, lacht Ederer. Bis Faschingsdienstag würde niemand nach einer Ratsche fragen. Aber kaum sei der Aschermittwoch um, gehe es los, mit all den Kurs-Anfragen. Fast ein Vierteljahrhundert lang brachte der Tischlermeister aus St. Kathrein am Offenegg Interessierten das Bauen von Osterratschen bei. Kleine und große Hände überwachte er beim Löcher-Bohren und beim Schrauben und beim Zusammenbauen der von ihm und seiner Frau vorbereiteten Lärchen- und Fichtenholzteile.
Heilsames Handwerk
Handwerk habe für ihn seit jeher etwas Heilsames, erzählt Franz Ederer. „Unter unserem Wohnhaus ist eine Volksschule“, sagt er weiter und berichtet, wie er die Kinder in den Pausen oft streiten, sich gegenseitig an den Haaren zupfen oder gar raufen gesehen habe. Dass es so etwas in seinen Kursen nie gegeben habe, führt Ederer auf manuelle Betätigung zurück. „Beim Ratschenbauen können sich Kinder ganz auf eine Sache konzentrieren, die sie mit den Händen machen“, sagt er. Damit Schulkinder zur Ruhe kämen, genüge oft schon, ihnen ein Handwerk beizubringen. Denn nicht immer gehe es darum, etwas im Kopf zu lernen. Wie gut die Arbeit tun kann, weiß er aus eigener Erfahrung.
Als Franz Ederer 54 Jahre alt ist, wird er an seiner Schilddrüse behandelt. Die Operation macht ihm, der schon seit Jahren von seiner Autoimmunerkrankung Hashimoto weiß, nicht Angst. Doch sein Leben wird sie nachhaltig verändern. Denn nach dem Eingriff schreibt der Chefarzt Ederer arbeitsunfähig – ein herber Schlag für Franz, der seinen Job als Leiter einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung sehr mag. „Plötzlich verlangt keiner mehr nach dir“, umschreibt er das Gefühl von damals, als er in Früh-Rente, oder, wie er die Invaliditätspension nennt, „in I-Pension“ geschickt wird.
Brauchtum für Alt und Jung
Die Wende in sein Leben bringt damals ein Treffen mit dem Kapellmeister aus St. Kathrein. „Franz, kannst’ ein paar Ratschen bauen?“, fragt er den Tischlermeister, der bei seinem Vater auch das Handwerk eines Wagenmachers erlernte und die Arbeit mit Holz nach wie vor liebt. Gehört, getan. Die erste Ratsche baut Franz Ederer in Anlehnung an eine von Kinderhand gebaute Holzklapper, die man am Dachboden der Schule fand. Nach eingehender Recherche und der Lektüre zahlreicher Bücher entwickelt er bald weitere Modelle. Außerdem stellt er Schablonen her, die unbedarften RatschenbauerInnen das Fertigen erleichtern sollen. Es folgen unzählige weitere Schablonen und über einhundert Modelle.

- hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion
Ausgezeichnet und geehrt
Doch beim Tüfteln, Anleiten und Bauen bleibt es nicht. Ab 2006 zieht es den Tischler und seine Ratschen zusehends in die Ferne. Mehrmals besucht er etwa, gemeinsam mit 200 BewohnerInnen seiner Gemeinde, die steirische Frühjahrsmesse, fährt zu Volkskultur-Umzügen nach Wien oder tischlert längst vergessenes Kinderspielzeug wie „Hollerbüchsen“ oder „Ritschratsch“ und stellt Christbaumschmuck aus Hobelspänen her. In tausenden von Arbeitsstunden verfeinert er sowohl die Technik als auch Didaktik, denn beides ist nötig bei der Weitergabe seines geliebten Kunsthandwerks.
Heute ist Franz Ederer mitverantwortlich dafür, dass österliches Ratschen Teil von Österreichs immateriellem Kulturerbe ist. Neben der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) erkennt auch die Steiermark den Wert seines Engagements und verleiht ihm für seine Verdienste in den Bereichen „Volkskultur, Altes Handwerk und dem Ratschenbuch“ das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark. Im Jahr 2016 wird Franz Ederer außerdem der Josef Krainer Heimatpreis für „Volkskultur“ verliehen.
Gläubig und solidarisch
„I glaub’, so geht’s“, sagt er und zurrt die Schrauben in der gerade fertig gebauten Flügelratsche fest. Hierher, in die von seinem Vater in den 1940ern erbaute Werkstatt, kommt Franz jetzt nicht mehr oft. Um wieder so arbeiten zu können wir früher, sagt er – „dafür würd’ i ein Vermögen geben.“ Seine Erkrankung, von der er erst seit Jahresanfang weiß, lässt das nicht zu. Und auch der weniger als vier Wochen zurückliegende, plötzliche Tod seiner Maria, die sechs Jahrzehnte seine Frau war, will erst verkraftet werden. Mehr als 15 Jahre lang waren die beiden im Raum Stuttgart fleißig, kamen zurück nach St. Kathrein am Offenegg und bauten hier ihr Haus. In Deutschland wurden David und Sarah geboren – die beiden Kinder, denen Franz „unbedingt“, wie er sagt, Namen aus der Bibel geben wollte. Nicht nur, weil Glaube für ihn wichtig sei, sondern auch im Gedenken daran, was Jüdinnen und Juden in Österreich und anderen Ländern angetan worden war. „Als kleine Wiedergutmachung“, sagt Franz.
Weiterratschen
So viele Themen wären da noch, sagt er am Ende unseres Gesprächs. Wissbegierig ist Franz Ederer auch mit 77 Jahren. „Hauskreuze“ zum Beispiel würde er noch gern erforschen. Viele dieser Kruzifixe bei den St. Kathreiner Wohnhäusern seien 2008 vom Sturmtief „Paula“ zerstört worden. Doch er habe davor noch ein Modellkreuz angefertigt, ein Model. Er lächelt und zeigt auf ein Holzkreuz, das eine Flammenempore umgibt. Die Allmacht Gottes, sagt er, ohne der es kein Leben geben würde.
Wann er die nächste Osterratsche bauen wird? Er weiß es nicht. Seine Erkrankung verhindere, dass er in dieser Fastenzeit mit Riffelwalze und Akkubohrer hantieren und andere unterrichten könne. Doch in der Karwoche, wenn alle Glocken längst in Rom sind, werden sie auch heuer wieder klappern, die Ratschen, die Franz Ederer geschaffen hat in mehr als zwei Jahrzehnten – gemeinsam mit Erwachsenen, mit Kindern oder allein in seiner Werkstatt.
Anna Maria Steiner
◉ Ratschen: Der Brauch geht zurück auf die frühchristliche Art der Karwochenfeier, die nur das „Schallbrett“ kennt. Ab dem 6. Jahrhundert sind Glocken in Verwendung – in der Karwoche gelten sie aber als zu festlich. Stattdessen schwingen MinistrantInnen im Gottesdienst eine Holzklapper, und statt der Kirchturmglocke ertönt die große Kirchturmratsche. (austria-forum.org)

- hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion
◉ Verlosung: Gewinnen Sie eine Flügelratsche vom „Ratschenbauer“ Franz Ederer! Senden Sie das Kennwort „Ratsche“ bis 25. März 2025 (Datum des Poststempels) an Sonntagsblatt, Bischofplatz 2, 8010 Graz oder an redaktion@sonntagsblatt.at .
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare