APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
9. Wie hat Jesus ausgesehen?

Lehrt euch nicht schon die Natur, dass es für den Mann eine Schande […] ist, lange Haare zu tragen?“, schreibt der Jude Paulus an die Christengemeinde in Korinth (1 Kor 11,14). Lange Haare und Bart sind offenbar damals unüblich, was sicher auch für Jesus gilt. Ausnahmen sind gottgeweihte Männer wie Johannes der Täufer. Dieser ist ein sogenannter „Nasiräer“, der durch eine besondere Lebensweise (z. B. kein Alkohol) und lange ungeordnete Haare – eine Art Weihezeichen – erkennbar ist: „Er ist heilig, er muss sein Haar ganz frei wachsen lassen.“ (Num 6,5) Böse Zungen nennen Jesus aber einen „Fresser und Säufer“ (Mt 11,19). Wir können also davon ausgehen, dass er weder ein Nasiräer noch besonders mager war.

Kein Wunder, dass man den einfachen Handwerker Jesus in der Menge nicht mühelos erkennen konnte. Bei seiner Verhaftung „verrät“ ihn bekanntlich erst der Gruß des Judas, ein damals üblicher Wangenkuss (vgl. Mk 14,44), und nicht etwa sein schmales Gesicht mit getrimmtem Bärtchen oder sein gescheiteltes brünettes Haupthaar. Diese Vorstellung ist ein späteres Produkt der abendländischen Kunstgeschichte und deckt sich nicht mit archäologischen Schädel-Funden aus Palästina. Für eine BBC-Dokumentation wurde 2001 der Kopf eines galiläischen Mannes aus dem ersten Jahrhundert rekonstruiert: grobe Gesichtszüge, dunkle Augen und kurze gekrauste Haare. So ähnlich könnte auch Jesus ausgesehen haben.

Aus der Zeit vor dem vierten Jahrhundert sind uns mit Ausnahme von Fresken in einer syrischen Hauskirche und in römischen Katakomben sowie auf Sarkophagen wenige Jesus-Darstellungen erhalten. Auf den ältesten (z. B. die Heilung des Gichtbrüchigen; Beginn des dritten Jahrhunderts in Dura Europos) ist Jesus bartlos, trägt kurzes Haar und scheint äußerlich ein Mann wie jeder andere zu sein.

Ein anderes, bärtiges Jesus-Bild zeigen nur das berühmte „Turiner Grabtuch“ und der „Schleier von Manoppello“. Diese beliebten Reliquien wurden und werden von vielen Gläubigen als echte Abbilder Jesu verehrt, aber ihre Herkunft und Entstehungszeit sind umstritten.

Erst als das Christentum im römischen Reich (ab dem vierten Jahrhundert) erlaubt ist, entstehen an Göttergestalten wie Zeus oder Asklepios angelehnte Darstellungen eines bärtigen Jesus mit gelocktem Haupthaar. Und diese Darstellungen bleiben symbolisch wirkmächtig!

Wenn Jesus im ältesten Evangelium die Schriftgelehrten kritisiert, gerne in „langen Gewändern“ umherzugehen (Mk 12,38), kann man aus guten Gründen annehmen, dass er sich selbst nicht so kleidete, sondern – wie es für Zeit und Ort üblich war – eine knielange ungefärbte Tunika, darüber einen Mantel und einfache Sandalen (vgl. Mk 1,7) trug. Das Johannesevangelium berichtet darüber hinaus, dass sein Untergewand „ohne Naht von oben ganz durchgewoben“ (Joh 19,23) und somit qualitativ hochwertig war. Gebleicht wird es aber nicht gewesen sein, sonst hieße es im Markusevangelium (9,2f.) nicht: „Und er wurde verwandelt, seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.“

Jesus war äußerlich wohl ein einfacher Mann, weder „der Schönste von allen Menschen“ (Ps 45,3) noch so unattraktiv, dass man sagen konnte: „Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm“ (Jes 53,2f.), obwohl beide Bibelstellen von den Kirchenvätern gerne zur Beschreibung der Gestalt Jesu herangezogen wurden.

Unser Fazit? – Weder Schönling noch Schreckgestalt: Jesus war (zumindest optisch!) sehr durchschnittlich. Manche mag das enttäuschen, andere wird es trösten!

Irene Maria Unger

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Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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