Neustart | Interview mit Barbara Pachl-Eberhart
Kraftvoll neu beginnen
Barbara Pachl-Eberhart musste in ihrem Leben immer wieder neu beginnen. Der größte Einschnitt war 2008, als ihr Mann und ihre beiden kleinen Kinder ums Leben kamen. Seither entwickelte sich die professionelle Clownin zur Expertin für Trauer und Neubeginn, zur gefragten Autorin und beliebten Seminarleiterin.
In der Fastenzeit schreibt sie in den österreichischen Kirchenzeitungen über „Neustart“.
Interview: Monika Slouk
Ein Stehaufmanderl ist ein Kinderspielzeug, das sich wieder aufrichtet, sobald man es umgelegt hat. Sicher gibt es auch „Stehaufweiberl“. Wenn man Ihre Lebensgeschichte liest, Frau Pachl-Eberhart, dann fühlt man sich daran erinnert.
Ja, ich war so ein Stehaufmännchen in weiblicher Form. Heute sehe ich manches anders, dazu komme ich später noch. Ich bin ein Sonntagskind. Meine Mama sagte immer, Sonntagskinder haben Glück. Das gehörte zu meiner Identität: Ich bin die, die Glück hat. Und wenn ich einmal Unglück hatte, bin ich um eine Ecke gebogen, sodass es sich glücklich angefühlt hat. Wenn ich mich erinnere: Der erste Zweier in meiner Schulzeit, noch dazu in Turnen, das war ein Drama. Dann habe ich Felgeaufschwung geübt, bis es wieder repariert war. Später ist mit meiner verpatzten Aufnahmsprüfung zum Konzertfach Querflöte ein großer Lebenstraum zerplatzt. Noch am selben Nachmittag habe ich in der Zeitung eine Anzeige für Kindertheater gesehen, sofort angerufen und mich beworben. Ein paar Tage später hatte ich eine Rolle und eine neue Selbstdefinition. So schnell ist das bei mir gegangen.
„Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“, das scheint Ihr großes Talent zu sein!
Ich hatte viel Glück in meinem Leben, vieles ist gelungen. Dann kam das Jahr 2008, der Unfall meiner Familie, der Tod meines Mannes und meiner Kinder. Wenn ich zurückschaue, habe ich damals etwas ganz Wichtiges gelernt, nämlich auch einmal liegen bleiben zu dürfen. Und wenn ich heute immer noch die Fähigkeit des Aufstehens habe, ist doch das wesentliche Element dazugekommen, dass ich mir Zeit nehme. Dass ich mir erlaube zu trauern, Abschied zu nehmen und mich wirklich neu zu definieren, nicht nur in die Schubladenkiste der schon bekannten Alternativen zu greifen. Zu schauen, was sich neu in mir entwickeln darf. Insofern würde ich heute sagen, ich bin ein Stehaufweiberl mit Verzögerung.
Sie sind nach dem tragischen Unfall Ihrer Familie wochenlang im Bett geblieben …
Ja, ich durfte mir das erlauben. Meine Arbeitgeber, die Rote-Nasen-Clowndoctors, haben gesagt: „Du bleibst jetzt einmal zu Hause, wir bezahlen dich weiter, und du kommst, wenn es wieder passt.“ Das hat mich enorm erleichtert. Es haben auch viele Menschen für mich gespendet, damit ich das tun konnte. Das war ein Polster, der mir das Loslassen ermöglicht hat. Ich habe die Zeit zum Schreiben genützt, habe Briefe an meine drei Lieben im Himmel geschrieben. Das war meine Form der Neuerfindung. Außerdem bin ich viel gegangen, ziellos durch die Wälder gestreunt. Da haben mich mehr gute Gedanken gefunden, als ich gesucht habe. Und auch Lebenskraft, Lust, Energie und Neugier kamen im Wald zurück.
Es braucht also Geduld, um auf den Impuls zu warten, der von innen herkommt, statt der Devise: „Raff dich auf, nimm dich zusammen!“
Vielleicht ist das der Segen der ganz großen Schicksalsschläge, dass wir gar nicht mehr die Chance haben, uns zusammenzureißen. Diesen Impuls, die Zähne zusammenzubeißen, haben wir alle, den hatte ich auch. Aber wenn so etwas Schlimmes passiert, das auch körperlich so schwächt wie der Tod von nahen Angehörigen, dann können wir uns nicht wirklich zusammenreißen. Man ist einfach zu erschöpft. Rückblickend war es eine Chance, dass ich an diesen Punkt gekommen bin. Ich konnte mich nicht mehr verbiegen. Ich musste schauen, was es ist, das aus mir heraus leben und sich in diesem Leben
weiterbewegen will.
Kann man Resilienz, die Kompetenz zum Wiederaufstehen, trainieren?
Ich bin überzeugt, dass man das üben kann. Es gibt viele Bücher darüber. Ich bin sehr gegen Resilienz, wenn es heißt, wir müssen immer resilienter werden, um die Umstände immer besser ertragen zu können, ohne zusammenzubrechen. Mein Weg der Resilienz ist nahe an der Traumatherapie. Da geht es darum, sich selbst zu verstehen, sich selbst lieb zu gewinnen und sich einzugestehen, was man wirklich fühlt. Es geht um den Umgang mit Gefühlen. Um den wahnsinnigen Mut, Gefühle wirklich zu spüren und nicht wegzudrängen. Das ist ein Schlüssel der Resilienz. Ein anderer Schlüssel ist das Wertvollste, was wir haben: unsere Aufmerksamkeit. Die kann entweder irgendwo hingehen, und wir rennen ihr nach wie einem Hund, der uns an der Leine hat, oder wir sind das Herrchen oder Frauchen dieses Hundes und lenken ihn. Wo lenken wir unsere Aufmerksamkeit hin? Wenn es um Resilienz geht, richte ich die Aufmerksamkeit einerseits auf meinen Körper, andererseits auf gute Erfahrungen und Gefühle in der Vergangenheit und auf Dinge, die jetzt in meinem Leben
gut sind, Stichwort Dankbarkeit.
Ihre Lebensgeschichte erinnert an die alttestamentliche Erzählung von Hiob, der auch seine ganze Familie verlor. Wie nahe ist Ihnen Hiob?
Viele Menschen haben mir gesagt, dass sie bei mir an Hiob denken. Ich ziehe den Hut vor Hiob, denn dem ist ja wirklich viel hintereinander passiert. Ich kenne das, dass mehrere schlimme Dinge hintereinander passieren. Kurz nach dem Tod meiner Familie ist mir ein junger Mann ins Auto gefahren, und es hatte Totalschaden. Da es schon alt war, bekam ich nur 300 Euro dafür, ich hätte aber noch zehn Jahre damit fahren können. Dann wollte ich das Haus kaufen, in dem ich mit meiner Familie gelebt hatte, die Besitzerin hat sich aber plötzlich anders entschieden und wollte es nicht mehr verkaufen, ich musste ausziehen. Dann hat jemand in mein neues Auto eingebrochen. Es war schon wie eine Verkettung. Was mich mit Hiob verbindet, ist das Urvertrauen. Der Glaube daran, dass alles, was im Leben passiert, seinen Sinn zeigen wird. Vielleicht nicht sofort. Aber dass
es eben einen größeren Sinn hat.
Wie hat sich Ihre Gottesbeziehung entwickelt?
In den Tagen, als meine Kinder auf der Intensivstation gelegen sind, hatte ich Erlebnisse, die ich spirituelle oder transzendente Erlebnisse nenne. Es waren Nahtoderlebnisse. Ich war zwar selbst nicht verletzt, ich war nicht klinisch tot, aber ich habe es doch erlebt.
Darüber gibt es ganze Bücher. Ich hatte mich damit vorher nie beschäftigt. Ich bin mit meiner Tochter mitgegangen. Das war ein körperliches, höchst reales Erleben.
Seit damals kann ich das gar nicht mehr wegblenden, was da auf uns wartet. Da ist noch eine ganz andere Ebene.
Haben Sie Ihre Tochter, Ihren Sohn, Ihren Mann ein Stück in den Himmel begleitet?
Ich glaube eher, sie haben mich ein Stück mitgenommen. Sie haben mich an die Schwelle mitgenommen und ein bisschen erleben lassen, wie es da ist, damit ich um sie weiß. Ich weiß, dass es ihnen gut geht, dass ich mir überhaupt keine Sorgen machen muss. Und ich weiß, dass ich dort eines
Tages auch sein darf.
Wie erzählen Sie Ihrer jetzt vierjährigen Tochter von ihren großen Geschwistern?
Ich habe darüber viel nachgedacht, als sie ein Baby war. Später hat sie Fotoalben aus dem Bücherregal gezogen, und es hat sich ganz natürlich ergeben. Ich habe nicht von Anfang an gesagt, dass das ihr Bruder und ihre Schwester sind, sondern dass ich früher schon einmal Kinder hatte und dass das meine Kinder waren. Das konnte sie gut nehmen. Nun kommen im Kindergarten die ersten Geschwisterbabys, und sie hätte auch gern ein Geschwisterchen. Da haben wir begonnen darüber zu reden, dass sie Geschwister hat, dass sie aber schon gestorben sind, dass sie im Himmel sind und es ihnen gut geht. In der Zeit des ersten Lockdowns ist mein Onkel an Covid verstorben, das Thema Tod war im Raum, und sie sagte plötzlich: „Ich will auch tot sein. Ich will zu meinen Geschwistern.“ Zum Glück bin ich nicht erschrocken. Meine Aufgabe ist, ihr zu zeigen, wie schön die Welt ist. Denn dass der Himmel schön ist, wissen wir. Der Himmel ist aber nicht alles.
Zur Person
Barbara Pachl-Eberhart wurde 1974 in Wien geboren, studierte Querflöte, wirkte als Clownin im Krankenhaus, heiratete einen Clown und hatte zwei Kinder. Als Thimo 6 und Valentina 2 Jahre alt waren, kamen sie mit ihrem Papa durch einen Autounfall ums Leben. Pachl-Eberhart schreibt Bücher und Blogs, hält Seminare und Vorträge. Von der Trauerbegleiterin entwickelte sie sich zur Poesietherapeutin. Mit dem Schauspieler Ulrich Reinthaller hat sie eine vierjährige Tochter.
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