Tirol | TIROLER Sonntag - Kommentare & Blogs

Beiträge zur Rubrik Kommentare & Blogs

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Wessen Wille geschehe...

Wahlen stehen vor der Tür und die Straßenränder sind mit Plakaten gepflastert. Der Ton ist rau. Bei manchen Ansagen und Werbespots wird mir angst und bang. Die Welt in schwarz und weiß zu zeichnen, die Guten hier, die Bösen da, die Anständigen hier, die Sündenböcke da, die Regierung hier, das Volk da: Das ist sehr einfach. Mit wenigen Strichen lässt sich so ein tolles Panorama skizzieren und das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Was fehlt, sind Nuancen, Schattierungen, Details. All das,...

  • 19.09.24

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Aufhören können

Viele haben darauf gewartet, aber schließlich kam Joe Bidens Rückzug als Präsidentschaftskanidat der Vereinigten Staaten doch überraschend. Anfangen ist leicht: Pläne machen und an die große Glocke hängen, das Blaue vom Himmel versprechen, voll Elan durchstarten – in Politik und Kirche wie im Privaten. Aufhören dagegen ist schwer: Feststellen, dass ein Projekt nicht mehr zeitgemäß ist, mehr Kosten als Nutzen verursacht, kaum Interessent:innen findet. Das Scheitern einer Beziehung ehrlich...

  • 25.07.24

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Pflanzen und Roden

Ruhig ist es geworden im Klostergarten. Früher lebte hier eine Schar Laufenten und eine Hasenfamilie. „Scheidungshasen“ manchmal – denn es hatte sich herumgesprochen, dass es Tieren im Klostergarten gut geht. Seit es nur noch eine Gärtnerin gibt, ist es mit den Tieren zu viel geworden. „Ich bin immer noch sehr glücklich hier“, sagt sie, als sie mich durch den Garten führt. Es ist auch immer noch viel Arbeit. Ihren Händen sieht man sie an, dem jung gebliebenen Gesicht nicht. Wir kommen zu den...

  • 28.05.24

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
FOMO im Mai

„Fear of missing out“ – kurz FOMO: ein Jugendwort für die Angst, etwas zu verpassen. Vom Jungpflanzenmarkt bis zum Festgottesdienst, der Muttertags-Grillerei über Kindergeburtstage, kulturelle und sportliche Veranstaltungen aller Art bis hin zum Kurztrip über die vermeintlich angenehmen langen Wochenenden: Im Mai platzen nicht nur die letzten Knospen auf, sondern bei den meisten auch die Terminkalender aus allen Nähten. Was eigentlich Freizeit, Erholung, Feiertag sein soll, verkommt zum...

  • 28.05.24

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Seid Menschen

Margot Friedländer war zwölf, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Sie überlebte das KZ Theresienstadt, verlor aber ihre gesamte Familie. Kein einziger Angehöriger überlebte. Außer Margot. Nach dem Krieg wanderte sie mit ihrem Mann, ebenfalls einem Holocaust-Überlebenden, in die USA aus und arbeitete u.a. als Änderungsschneiderin. Spät im Leben besuchte sie einen Kurs über biographisches Schreiben, erzählte einem Filmemacher ihre Geschichte, ging an Schulen. 2010, im Alter von 89...

  • 05.02.24

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Vom Gift des Vergleichens

Sich mit anderen zu vergleichen und so den Selbstwert aufzupolieren, bereitet viel Unglück. „Warum sitzt du noch auf diesem Baby-Kindersitz, ich hab‘ schon einen für Große!“, sagt das eine Kind zum anderen. „Warum fahrt ihr nicht mal weiter weg? Wir waren gerade in Brasilien“, sagt die eine Frau zur anderen. „Warum spendet ihr für Leute in Afrika, vor der eigenen Haustür gibt es doch genug Not!“, sagt der eine Kirchenbesucher zum anderen. „Ich verstehe die anderen Leute nicht, so schwer kann es...

  • 10.11.23

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Gott schläft nicht

Dunkelheit gehört zum Leben wie die Nacht zum Tag. So weit, so banal. Wir können sie nicht vermeiden – aber wir können lernen, anders mit ihr umzugehen. Die „dunkle Nacht der Seele“ haben viele Mystiker:innen als Fortschritt im geistlichen Leben erfahren, Antoine de Saint-Exupéry lobte sie als „selbstverständliche Zugabe zum Leben, durch die wir wachsen und reifen.“ Christ:innen glauben, dass Gott uns im Leid ganz nah ist. Doch wenn sich Dunkelheit im Leben ausbreitet, helfen diese Weisheiten...

  • 01.06.23

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Rollentausch

Über „die“ Rolle „der“ Frau in „der“ Kirche reden? Die vielen Singulare machen mich unruhig – weil sie eine Eindeutigkeit vorgaukeln, die es nicht gibt. Gedankenexperiment: Eine Veranstaltung zum Thema „Die Rolle des Mannes in der Kirche“, hauptsächlich von Männern besucht, Frauen sind in der Minderheit, weil es sie kaum betrifft. Die Vorstellung ist absurd. Männer haben in der Kirche nämlich, solange sie zölibatär leben, alle Möglichkeiten. Frauen nicht. Und daher sind Diskussionen über „die...

  • 12.05.23

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Farben des Lebens

Nebenbei schaue ich in meine Mails. „Franz ist tot“, steht da. „Er ist mit einem Lächeln eingeschlafen.“ Die Nachricht trifft mich nicht unvorbereitet, aber mitten ins Herz. Es ist Karsamstag. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“. Der Korb für die Speisenweihe steht bereit. Meine Tochter wartet ungeduldig: „Wann gehen wir endlich los?“ In der übervollen Kirche ist die Stimmung gelöst. „Lass uns ein wenig an Franz denken, er ist jetzt auch auferstanden“, sage ich zu meiner Tochter....

  • 25.04.23

Kommentar
Herzwärts leben

„Gott will nicht unsere Grübeleien, er will unser Herz“: Dieser Satz des Theologen Ladislaus Boros begleitet mich seit vielen Jahren. Er ist mir so wichtig, dass ich manchmal denke , er ist mein „zweites Credo“. Denn er hilft mir glauben, dass Gott uns so geträumt hat, dass wir nicht rein aus dem Kopf leben und Regeln einhalten. Nein, ich glaube, er hat uns als lebendige Menschen geträumt, die aus dem Herzen leben. Die sich selbst spüren, sensibel wahrnehmen, was ihnen und anderen guttut. Deren...

  • 22.03.23

Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Trotzdem

Die Nachrichten sind an manchen Tagen unerträglich. Abschalten, mich abschotten, ist für mich keine Alternative. Einen Psalm dagegen zu halten, schon. Eigentlich hatte ich diesen Kommentar zu einer wissenschaftlichen Hypothese geschrieben, wonach der Erdkern in regelmäßigen Abständen seine Rotationsrichtung wechsle – und welche Konsequenzen das für uns hat (Veränderung der Tagesdauer um Millisekunden). Schließen wollte ich mit einem Zitat aus Psalm 90: „O Herr, du warst uns Wohnung. Ehe geboren...

  • 09.02.23

Randnotiz von Lydia Kaltenhauser
Einfach nett zueinander sein

„Mein Sohn fragt mich oft: Bin ich Afghane? Iraner? Österreicher? Ich kann ihm keine Antwort darauf geben, ich weiß ja selbst oft nicht, wohin ich gehöre.“ Die Worte von Leila Aminpur (s. Porträt hier) machen betroffen. Menschen, die ihre Heimat verlieren, verlieren auch ein Stück ihrer Identität. Es sind nicht „Flüchtlinge“, die zu uns kommen, sondern Menschen mit ihrer Geschichte, so wie wir. „Einfach nett zueinander sein, das ist das Wichtigste“, sagt Leila, nach ihrer Kraftquelle gefragt....

  • 03.11.22

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Auferweckung der Toten

„Glaubst du, dass es ein Leben nach dem Tod gibt? Glaubst du, dass du selbst auferweckt werden wirst? Wie Jesus?“ Diese Fragen stellt der heutige Mensch. Auch an mich persönlich. Warum dieser Einstieg? Vieles in der Kirche gleicht der Situation von damals. Die Tempelaristokratie war um Systemrelevanz der organisierten Religion besorgt: um die Finanzierung, um caritative Arbeit, um das Image in der Öffentlichkeit. Diese Sorge verdeckte den Verantwortlichen damals und sie verdeckt oft auch heute...

  • 12.04.22

Kommentar
Zuhören als Segen

"Hört – und ihr werdet leben": Die Worte Moses an das Volk Israel rütteln auch nach tausenden von Jahren noch wach. Vom Zuhören und Aufeinanderschauen ist in unserem Land momentan viel die Rede. Genauso von Spaltungen und Verbitterungen. In der Kirche ist es nicht anders. Hier die einen, da die anderen, dazwischen Gräben aus Rechthaberei, Skandalen, Vorurteilen und Enttäuschungen. "Wenn all das vorbei ist, möchte ich in einer Welt leben, in der ich gehört werde." Diese Worte hat die...

  • 08.03.22

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Beten für Bösewichte

Zum Inbegriff des Bösen – das wurde er. In der Kirche hat man nie für ihn gebetet! Nur der heilige Vinzent Ferrer (1350-1419) predigte mal anders: Aus allen Kräften habe Judas versucht, sich Christus zu nähern. Die große Menschenmenge auf dem Kreuzweg hat sein Vorhaben durchkreuzt. Als er sah, dass es ihm nicht gelingen wird, sprach er in seinem Herzen: „Da ich zu den Füßen des Meisters nicht gelangen kann, will ich ihm wenigstens im Geiste nahen und ihn so demütig um Verzeihung bitten.“ Und...

  • 08.03.22

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Im kleinen Nest

Gut sechzig Jahre sind es her. Im kleinen Nest bereitete der Kaplan das Krippenspiel vor. Er verteilte die Rollen, gab Texte zum Auswendiglernen und schärfte ein, man solle sich um Geschenke kümmern: von einer Stange Schafskäse bis hin zum lebendigen Huhn sollte die Palette der Mitbringsel reichen. Da ich einer der kleinsten Buben war, fiel mir die Rolle des Waisenjungen zu. In schäbigen Kleidern sollte ich ein Lied anstimmen. Mit krächzender Stimme angestimmt, sollte es die Hirten im Stall zum...

  • 21.12.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Gott gefunden

Jahrelang haben sie zusammen bei ihrem Meister studiert, mit ihm auch stundenlang meditiert. Als die Studienjahre vorbei waren, brachen drei seiner besten Schüler auf. Sie wollten die Welt erkunden und Lebenserfahrungen sammeln. Sie schworen einander aber, sich nach zehn Jahren wiederum bei ihrem Meister zu treffen. Um Bilanz zu ziehen. So kamen sie also nun wieder. Erkannten aber den Meister kaum. Gealtert und krank, lag er auf seinem ärmlichen Bett. Sie mögen sich um das Bett herum...

  • 04.10.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Sorge Dich nicht!

„Das gibt es doch nicht!“ Der Einsiedler traute kaum seinen Augen. Er schaute gerade einem Sperber zu. Dieser hat ein Stück Fleisch in kleinste Stücke gerissen, trug diese zum Nest und fütterte damit seine Kleinen. Doch dann? Dann sah der Vogel eine kleine Krähe. Verletzt lag diese unter dem Baum. So fütterte der Sperber auch die Krähe. „Wenn dies nicht ein Zeichen von Gott ist?“, dachte der fromme Einsiedler. „Die Botschaft ist mehr als eindeutig. Selbst die kleine verletzte Krähe hat Gott...

  • 16.09.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
FFP2-Masken

Schon eine Ewigkeit waren sie beisammen. Längst hatten sie auch schon die „goldene Hochzeit“ gefeiert. Schweigend saßen sie nebeneinander auf einer Bank und warteten auf den Zug. Wie jedes Jahr wollten sie auch diesmal in die „Sommerfrische“ fahren. Und die Routine des Alltags unterbrechen. Auf der benachbarten Bank saß ein junges Pärchen. Verliebt bis über beide Ohren. Leidenschaftlich küsste der junge Mann seine Freundin. Die Augen der alt gewordene Frau blitzten auf. Ein Lächeln erschien auf...

  • 16.07.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Der schüchterne Tim

„Zeichnet etwas, wofür ihr dem lieben Herrgott danken wollt”, sagte die Lehrerin zu den Erstklässlern. Es war dies eine der letzten Schulstunden vor den großen Ferien. In einem pandemiefreien Jahr! Sie zeichneten Süßigkeiten, Katzen und Vögel, schöne Blumen. Lächelnd stellte die Lehrerin fest, dass ihr Unterricht Spuren hinterlassen hatte: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir … lieber Gott hab Dank dafür.“ Sie kam zu Tim, beugte sich über seine Zeichnung, konnte ihre...

  • 24.06.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Es war eine Gnade

Es war eine Gnade. Zumindest für mich. Weit mehr als 100 Menschen pilgerten am Samstag auf die Seekarlspitze im Rofan. Der Jüngste gerade zwei Jahre alt. Und der Älteste? Konditionsmäßig vermutlich ich selbst. Für Jozef sei es nicht nur die Kreuzeinweihung, sondern auch ein Kreuzweg, sagte jemand ganz laut. „Simon von Kyrene“ nahm mir den Rucksack ab, „Veronika” erfrischte mich, stärkte mich mit Müsliriegel. Und die Bergretter? Sie drohten mir nicht nur an, sie würden mich hinauftragen, wenn...

  • 17.06.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Inbegriff der Hingabe

Fronleichnam 2021: Vor meinen Augen taucht das Bild auf, das ich aus der Zeit meiner Kindheit kenne. Es war auf der Kanzel unserer Dorfkirche zu sehen. Thomas von Aquin hat es in seinem eucharistischen Hymnus als Bild für Christi Hingabe verwendet und so die Imagination der Weltkirche geprägt. Es erzählt die Geschichte einer Vogelfamilie. Drei Kinder sind da. Ewig hungrig. Die permanent offenen Schnäbel signalisieren dem glücklichen Pelikan, dass er unverzichtbar ist. Unverzichtbar bei der...

  • 02.06.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Unser Lebensboot

Endlich durften sie verreisen. So fuhren sie zum See und schlugen ihre Zelte am Campingplatz auf. Am Abend haben die beiden Freunde beschlossen, mit dem Boot ans andere Ufer zu fahren. Um in der Bar ordentlich zu bechern. Sie blieben bis zur Sperrstunde hocken, tranken eine Flasche nach der anderen. Dann schwankten sie gemeinsam zu ihrem Boot. Stiegen ein und fingen an zu rudern. Nach zwei Stunden schwerster Arbeit hielten sie an. Ganz verschwitzt und nach Luft ringend fragte der eine Ruderer...

  • 14.05.21

Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Die Mutter

„Warum bastelt ihr so lange an dieser Figur?“, fragte verwundert der Engel den lieben Herrgott. Weil dieser halt Überstunden machte. „Ich bin nah daran, etwas hervorzubringen, das mir einigermaßen ähnelt. Kriege aber das mit den drei Paar Augen nicht auf die Reihe. Sie soll ja durch verschlossene Türen blicken können, hinter denen ihre Kinder spielen. Mit den Augen im Hinterkopf muss sie sehen, was sie nicht sehen soll, aber wissen muss. Mit denen von vorne soll sie ihrem Kind, das sich...

  • 06.05.21

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