Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Aufhören können

Viele haben darauf gewartet, aber schließlich kam Joe Bidens Rückzug als Präsidentschaftskanidat der Vereinigten Staaten doch überraschend.

Anfangen ist leicht: Pläne machen und an die große Glocke hängen, das Blaue vom Himmel versprechen, voll Elan durchstarten – in Politik und Kirche wie im Privaten. Aufhören dagegen ist schwer: Feststellen, dass ein Projekt nicht mehr zeitgemäß ist, mehr Kosten als Nutzen verursacht, kaum Interessent:innen findet. Das Scheitern einer Beziehung ehrlich zugeben und nach neuen Wegen suchen. Als Ordensgemeinschaft eine Niederlassung aufgeben. Oder von einem Amt, auf das die ganze Welt schaut – erinnern wir uns an Papst Benedikt – zurücktreten. All das ist sehr schwer. Aufhören kann Angst machen, es erfordert Mut. Die Frage taucht auf, was die eigene Identität ausmacht. Wer aber zur richtigen Zeit aufhören kann, dankbar und mit Augenmaß, rettet nicht nur die eigene Würde, sondern auch die Würde dessen, wofür die Entscheidung steht: die Ehrfurcht vor den Mitmenschen, die Verantwortung für ein Amt, die Glaubwürdigkeit der Demokratie, die Zukunft der Kirche.
Aufhören ist der Vorbote von Anfangen.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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