Vatikan
Professor und Pfarrer Papst
Zwei Päpste im Vergleich.
Seit 23. Jänner ist Papst Franziskus länger im Amt als sein Vorgänger Benedikt XVI. Roland Juchem, Rom-Korrespondent von Kathpress, wagt einen Vergleich.
Insgesamt könnten die beiden Päpste unterschiedlicher kaum sein – so scheint es. Doch neben frappanten Unterschieden haben Benedikt XVI. und Franziskus einige Gemeinsamkeiten.
Reformen. Was Benedikt XVI. zaghaft begonnen hatte, sollte und will Franziskus gründlicher fortführen. Etwa den Kampf gegen Missbrauch. Den nahm der Vatikan auf, als Ratzinger noch Präfekt der Glaubenskongregation war. Doch vom Erlass „Sacramentorum sanctitatis tutela“ im Jahr 2001 über die Kinderschutzkommission bis zum Anti-Missbrauch-Gipfel im Jänner 2019 und der Regelung bischöflicher Rechenschaft war es ein langer, zäher Weg. Noch gegen Ende des Pontifikats von Johannes Paul II. stieß Ratzinger kurienintern auf erhebliche Widerstände, etwa im Fall des Gründers der Legionäre Christi, Marcial Maciel. Heute ist die Disziplinarabteilung, die sich auf seine Initiative hin mit Missbrauchsvorwürfen befasst, die größte Abteilung der Glaubenskongregation. Aber auch Franziskus musste bei dem Problem dazulernen, beging Fehler und musste sie später einräumen.
Eine umfassende Kurienreform hingegen hatte Benedikt nie im Sinn. Angesichts seines Alters sei ein solches Projekt zu groß. Gleichwohl gründete er 2010 die Finanzaufsicht AIF zur Bekämpfung illegaler Finanz-Aktivitäten, leitete eine Reform und Revision der Vatikanbank IOR ein. Um Vetternwirtschaft im Vatikan einen Riegel vorzuschieben, schuf Benedikt eine Bewertungskommission für die Neueinstellung von Laienpersonal.
Franziskus griff die Initiativen auf, schuf neue Behörden, legte andere zusammen. Wie sein Vorgänger musste der Argentinier mit Widerstand in der Kurie kämpfen. Insbesondere bei den Kompetenzen für das neu geschaffene Wirtschaftssekretariat gab es Gerangel und Rückschläge. Erst nach dem Finanzskandal im Staatssekretariat konnte Franziskus geplante Änderungen durchsetzen.
Die Art und Weise, wie der Argentinier und Jesuit seine Reform angeht – „im Gehen“ und sprunghaft –, ist indes eigenwillig. Und war nicht Benedikts Ansatz, der Instanzen einhielt. Diese überspringt Franziskus gerne, lässt die Kurie mitunter links liegen, holt sich Rat und Vorarbeit von Vertrauten andernorts. Franziskus organisiert sich als Papst die Hälfte seiner Arbeitszeit selbst, so wie er es als Erzbischof von Buenos Aires gewohnt war.
Politik und Diplomatie. Beide Päpste haben hehre Forderungen an die Politik. Allerdings begab sich Benedikt XVI. weniger in deren Tiefen, beließ es bei grundsätzlichen anthropologisch-philosophischen Hinweisen. Franziskus äußert sich konkreter und tagesaktueller, wie seine Einlassungen zu Migrations-, Klima-, Sozial- und zuletzt auch Gesundheitspolitik zeigen.
Kompromisse, wie sie Politiker eingehen müssen, bedeuteten für Benedikt, Abstriche zu machen. So beließ er es – etwa im Kongress in Washington oder im Bundestag in Berlin – bei Grundsatzreden. Bereits als Präfekt der Glaubenskongregation verfasste er 2002 eine Note zur Verantwortung katholischer Politiker, die diesen – besonders beim Lebensschutz – enge Grenzen setzt.
Franziskus macht zwar ebenso klare Ansagen, schaut dann aber, was möglich ist. Dafür ist er bereit, mit jedem – „außer mit dem Teufel“ – in Dialog zu treten: ob es die Generäle in Myanmar sind, die sich am ersten Abend seines Besuchs 2017 in die Nuntiatur selbst einluden, die Despoten Maduro (Venezuela), Lukaschenko (Belarus) oder das Regime in Peking. Dabei nimmt Franziskus in Kauf, dass sein Schweigen zu den Uiguren und zu Hongkong seine moralische Autorität schmälert.
Entsprechend ist die Diplomatie des Heiligen Stuhls wie die rund um den Vatikan seit 2013 zu neuem Leben erwacht. Und während Benedikt XVI., aus dem katholischen Bayern stammend, die Welt eher von Europa aus betrachtete, sieht und bewertet der Argentinier die Welt vom vermeintlichen Rand aus. Wohl kaum eine internationale Persönlichkeit hat bisher so prominent den Blickwinkel auch des Südens eingefordert.
Theologie. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. wird zweifellos als großer Theologe anerkannt – auch von vielen, die seine Schlussfolgerungen nicht teilen. Kaum einer ist so in der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte bewandert wie der frühere Theologieprofessor. Sein großes Anliegen: Glaube und Vernunft, biblische Offenbarung und abendländisches Denken zusammenzubringen. Dabei schaut er auf das große Ganze, denkt deduktiv-zentral und in der Moraltheologie eher von der Lehre her.
Franziskus hingegen denkt vom konkreten Menschen her, sieht hinter diesem die soziale Realität. Für den Argentinier ist Theologie Anwendungswissenschaft; reine Prinzipienreiter sind ihm zuwider. Die von ihm als
Jesuit gepriesene Methode der geistlichen Unterscheidung ist für viele schwer nachvollziehbar, führt nach Ansicht von Kritikern zu widersprüchlicher Praxis, die die kirchliche Einheit gefährdet. Doch Franziskus hat ein dickes Fell; als Lateinamerikaner kann er (vermeintliche) Gegensätze, regional unterschiedliche Praxis nebeneinander stehenlassen.
Menschen. Als Papst zeigte Joseph Ratzinger, dass er nicht der „Panzerkardinal“ ist, als den ihn englischsprachige Medien titulierten; aber Benedikt XVI. war auch nicht mehr Präfekt der Glaubenskongregation. Gleichwohl wollte der Professor auf dem Stuhl Petri eher belehren; sein Nachfolger will vor allem ermutigen. Fromm sind beide.
Über den Glauben schrieben beide Päpste gemeinsam
Glaube und Familie. „In der Familie begleitet der Glaube alle Lebensalter: Die Kinder lernen, der Liebe ihrer Eltern zu trauen. Deshalb ist es wichtig, dass die Eltern gemeinsam den Glauben in der Familie praktizieren und so die Reifung des Glaubens der Kinder begleiten. Die jungen Menschen wollen Großes im Leben. Christus zu begegnen und sich von seiner Liebe ergreifen und führen zu lassen weitet den Horizont des Lebens.
Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche.“ (aus Nr. 53)
Glaube und Schöpfung. „Der Glaube lässt uns außerdem durch die Offenbarung der Liebe Gottes des Schöpfers die Natur mehr achten, da er uns in ihr eine von Gott eingeschriebene Grammatik und eine Wohnstatt erkennen lässt, die uns anvertraut ist, damit wir sie pflegen und hüten. Er hilft uns, Entwicklungsmodelle zu finden, die nicht allein auf Nutzen und Profit gründen, sondern die Schöpfung als Gabe anerkennen, deren Schuldner wir alle sind. Er lehrt uns, gerechte Regierungsformen zu ermitteln und dabei anzuerkennen, dass die Autorität von Gott kommt, um sich in den Dienst des Gemeinwohls zu stellen.
Der Glaube bietet auch die Möglichkeit zur Vergebung, die oftmals Zeit, Mühe, Geduld und Einsatz benötigt; eine Vergebung, die möglich ist, wenn man entdeckt, dass das Gute stets ursprünglicher und stärker ist als das Böse, dass das Wort, mit dem Gott unser Leben bejaht, tiefer ist als all unser Nein.“ (aus Nr. 55)
Glaube als Orientierung. „Der Glaube ist nicht ein Licht, das all unsere Finsternis vertreibt, sondern eine Leuchte, die unsere Schritte in der Nacht leitet, und dies genügt für den Weg.“ (aus Nr. 57)
Wobei Benedikt im Vergleich zu Franziskus etwas nüchterner ist. Einer Madonnen-Ikone regelmäßig Besuche abstatten, gerne mit Blumenstrauß, wie es der Argentinier in Santa Maria Maggiore tut, wäre Benedikt XVI. weniger in den Sinn gekommen.
Der höflich-distinguierte, schüchterne Benedikt denkt eher institutionell; er lebte für seine Arbeit und verzichtete dafür weitgehend auf „social life“. Franziskus hingegen blüht auf, wenn er sich unter Menschen begibt. Je weniger förmlich der Anlass, umso wohler fühlt er sich: geht auf wildfremde Leute zu, lacht, witzelt, schüttelt Hände, umarmt – so gerne, dass er es sich in der Pandemie mühsam abgewöhnen musste. Gleichwohl kann auch der „Pfarrer Papst“ harsch, ja cholerisch werden.
Einen bescheidenen Lebensstil pflegen beide. Benedikt XVI. ist ein wohl noch asketischerer Typ als sein Nachfolger. Aber er konnte sich damit in der Kurie weniger durchsetzen als Bergoglio, der sich weigerte, aus dem Gästehaus Santa Marta auszuziehen. Vielleicht fühlt Franziskus sich weiter nur als „Gast auf (vatikanischen) Erden“?
Hirten. Als Bischof von Rom sehen Päpste sich gerne als Hirten. Benedikt XVI. wäre dabei der klassische Schafhirte. Er geht voraus, weist den Weg und gibt behutsames Tempo vor. Franziskus hingegen ist eher Ziegenhirte, der sich unter die Herde mischt, den Tieren mehr zutraut und sie machen lässt – wenn auch nicht alles. Auch er weist die Richtung, macht sogar Beine, gibt aber keinen genauen Pfad vor.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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