Ein Licht für den Weg | 1. Adventsonntag
Bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit ist
Wer erinnert sich noch an jenen Abend des 27. März 2020, als Papst Franziskus wie verloren in der hereinbrechenden Dunkelheit auf dem gespenstisch menschenleeren Petersplatz die Worte sprach:
„Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt; sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt“?
von Hubert Gaisbauer
Was hat sich geändert in den vier Jahren seit dem ohnmächtigen Erschrecken vor dem Wüten der Seuche? Man kann nicht sagen, dass die Worte des Papstes eine deutliche Spur von Nachhaltigkeit hinterlassen hätten. Der todbringende Sturm jenes Frühlings hat die Täuschung der Gleichgültigkeit nicht weggefegt. Die Aufforderung des Papstes, endlich „den Wahn von Allmacht und Besitz“ aufzugeben und der Kreativität des Geistes Raum für „neue Formen der Sorge für eine Gesundung der Welt“ zu geben, „für Brüderlichkeit und Solidarität“, ist folgenlos verhallt. Und die Finsternis – so sieht es aus – ist noch undurchdringlicher geworden.
Papst Franziskus malt keine Weltuntergangsszenarien. Damals nicht und heute nicht. Wie kann, fragt er, christlicher Glaube ein „Weg seliger Hoffnung auf eine Begegnung mit dem Lebendigen“ sein? Am ersten Adventsonntag des Krisenjahres predigt er: „Der Advent ist die Zeit in der Nähe Gottes Er will nahe zu uns kommen, doch er drängt sich nicht auf. An uns liegt es, darin nicht müde zu werden, ihm zu sagen: Komm!“ Er schlägt vor, wenigstens einmal am Tag „Komm, Herr Jesus“ zu beten. Und sich nicht „in tausend Dingen zu verlieren“, sondern wachsam zu sein, für das Kommen Gottes. „Wachet, sagt der Herr.“
Franziskus findet deutliche Worte, wenn er vom „inneren Schlaf der Gleichgültigkeit“ spricht. Er stößt uns an, schleunigst aufzuwachen: „Wenn wir nur um unsere Bedürfnisse kreisen, senkt sich die Nacht in das Herz herab. Das Herz wird dunkel. Bald fängt man an, sich über alles zu beklagen, dann fühlt man sich als Opfer von allen, und schließlich sieht man überall Verschwörungen. Heute scheint diese Nacht über viele eingebrochen zu sein.“ Worin diese adventliche Wachsamkeit besteht, dafür hat Franziskus eine kurze und klare Antwort, die oft in seinen Reden vorkommt: in der Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist, la docilità allo Spirito Santo. Das heißt hellhörig sein und hellsichtig bei der Deutung der Zeichen der Zeit! Was unsere Zeit braucht, dafür hat Papst Franziskus in der Schöpfungsenzyklika Laudato siʼ einen sehr schönen Begriff geprägt: sobriedade feliz, ein Glücklichsein im Maßhalten. Das könnte ein möglicher Weg sein für ein Leben in Würde und Respekt vor der Schöpfung.
Ein Heiliger gegen die Finsternis
Vor fünf Jahren hat Papst Franziskus den englischen Kardinal John Henry Newman heiliggesprochen. Ein gutes Beispiel für die Hellhörigkeit auf die Eingebung des Geistes. Dieser ehemals anglikanische Priester ist ein Prophet des Lichts. In der Finsternis unserer Welt sei er das beste Beispiel „eines neuen Heiligen“, sagte Papst Franziskus bei der Heiligsprechung. Und er würdigte ihn mit einem Newman-Zitat: „Der Christ ist heiter, zugänglich, freundlich, sanft, zuvorkommend, lauter, anspruchslos; er kennt keine Verstellung.“ Eine Teilnahme am Ersten Vatikanischen Konzil – als Theologe – lehnte Newman übrigens ab, er wollte „nur“ ein „freundliches Licht“ sein auf dem Weg anderer. „Das hält das Herz jung und ist ein Licht gegen das Altern und gegen die Verfinsterung des Herzens“, sagte der Papst.
„Das gilt auch in der Familie, unter Eheleuten: sich daran erinnern, danke zu sagen. Danke ist das einfachste und wohltuendste Wort.“ Für John Henry Newman sind es eben die kleinen Dinge, in welchen man sich als wahrhaftig erweist. Auf die Frage, was man tun müsse, um heilig zu werden, soll er gesagt haben: „Steht nicht zu spät auf. Denkt an Gott. Widmet ihm den Tag. Erfüllt eure Pflicht in der Gesellschaft, wer auch immer ihr seid und wo auch immer ihr seid. Esset. Trinkt. Zieht am Abend Bilanz, und geht nicht zu spät schlafen.“
Newman hat eine Selbstbiografie geschrieben, in der er auch seinen Übertritt zur katholischen Kirche erklärt. Darin beschreibt er auch folgende Episode: Im Frühling des Jahres 1833 befand er sich auf einer Studienreise durch Italien. Auf Sizilien steckte er sich mit einem heftigen Fieber an. Man bangte drei Wochen lang um sein Leben. Nachdem er einigermaßen gesund geworden war, sehnte er sich nur, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Auf einem Segelfrachter nützte er – während einer Woche Windstille – die Wartezeit und schrieb Gedichte. Darunter sein schönstes Gedicht. Es ist eigentlich ein Gebet, mit dem Titel „Lead kindly light“, das auch Papst Franziskus bei der Heiligsprechung erwähnt hat.Gott ist die Liebesgeschichte für Verliebte.
Papst Franziskus
In seinem langen Leben – 1801 bis 1890 – hatte Newman eine hoffnungsvolle und eigentlich recht adventliche Vision: Lichtträger werden die Welt retten. Ihrer sind genug, meint er, um Gottes Werk fortzuführen. Diese geben ihr Licht an andere Lichtträger weiter, durch die es dann noch weiter über die Welt hin verteilt wird. Eine kleine Schar begnadeter Menschen wird die Welt retten für die kommenden Jahrhunderte. „Herr, bleibe bei mir“, betet er einmal, „dann werde ich selber auch leuchten, wie du geleuchtet hast, werde andern ein Licht sein. Und immer wirst du es sein, der leuchtet – durch mich hindurch.“
In einer anderen Betrachtung schreibt er: „Gott führt uns oft seltsame Wege. Wir wollen uns in seine Hand geben und nicht erschrecken, wenn er uns fremde Wege führt. In seiner Gegenwart oder in seiner Verborgenheit – Er ist der Gott meines Herzens.“ Papst Franziskus formuliert es in einer Adventpredigt ganz ähnlich: Gott ist die Liebesgeschichte für Verliebte, deshalb sollten wir nicht im „Schlaf der Mittelmäßigkeit“ verharren, sondern die „brennende Sehnsucht nach Gott“ in uns nähren. „Der Glaube ist nicht Wasser, das löscht; er ist Feuer, das brennt; er ist nicht ein Beruhigungsmittel für die immer Gestressten.“
Ein Tag strahlenden Lichts beginnt
Wenn wir müde sind und vielleicht nahe dabei zu resignieren, fordert Franziskus auf, „die Hände wieder stark und die Knie fest zu machen, um wieder Mut zu haben und uns nicht zu fürchten. Gott gibt uns die Kraft, vorwärtszugehen. Er hat uns gern – und geht mit uns …“, wie die Wolke in der Wüste dem Volk, seiner Herde, vorangeht.
Was sind wir? – Ein Volk unterwegs, und um uns wie auch in uns gibt es Dunkelheit. Und während der Geist der Finsternis sich über die Welt breitet, überrascht uns eine prophetische Vision: „Das Volk, das unterwegs ist und im Dunkeln geht, sieht ein helles Licht.“ Die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch an die Worte von Johannes XXIII. erinnern, die er vor einundsechzig Jahren in der Eröffnungsrede des Zweiten Vatikanischen Konzils gesprochen hat: „Mit dem Konzil beginnt ein Tag strahlenden Lichtes. Noch ist es wie Morgenröte, und schon berühren die Strahlen der aufgehenden Sonne unser Herz.“
Mit Papst Franziskus hoffen wir auf ein ähnliches Licht, das von der Weltsynode ausgehen möge. Denn die schwersten Sorgen und Fragen, die der Menschheit zur Lösung aufgegeben sind, haben sich nach fast zweitausend Jahren nicht verändert. Als „Volk im Dunkeln“ gehen wir in den Advent – und warten auf das „helle Licht“.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.