APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
8. Hatte Jesus mit seiner Familie Streit?

Gegenfrage: Wie würdest du reagieren, wenn sich dein zwölfjähriger Sohn beim Familienausflug einfach „abseilt“ und dann nach Tagen der schmerzlichen Suche auf deine Frage „Kind, warum hast du uns das angetan?“ (Lk 2,48) auch noch patzig mit „Warum habt ihr mich gesucht?“ (Lk 2,49) reagiert? – Genau das erzählt Lukas über den Teenager Jesus.

Oder stell dir vor, dein Sohn, der seit dem 14. Lebensjahr den vom Vater erlernten Handwerksberuf ausübt, wirft plötzlich alles hin und beginnt aus heiterem Himmel öffentlich als Prediger aufzutreten. „Vom Bauhandwerk zur Reich-Gottes-Verkündigung? Was hat er denn jetzt auf einmal?“, könnte man sich fragen. So lästern auch bald die Leute in Nazaret, als Jesus an einem Sabbat in der heimischen Synagoge lehrt: „Woher hat er das alles? […] Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?“ (Mk 6,2f.) – Freilich wird die oder der andere Verwandte Jesus zur Rede gestellt haben. Wenn du glaubst, Jesu Brüder und Schwestern hätten eine solche Blamage demütig und wortlos auf sich sitzen lassen, dann hast du wohl selbst keine Geschwister!

Das Johannesevangelium (2,3f.) erzählt über eine Hochzeit in Kana: „Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ – Wie es Maria mit dieser Antwort wohl erging, lässt sich nur vermuten.

Im Markusevangelium (3,20f.) lesen wir davon, dass ihn seine Angehörigen mit Gewalt von einem Treffen wegholen wollen, weil sie meinen: „Er ist von Sinnen.“ – Die Lage spitzt sich noch weiter zu, als Schriftgelehrte ihn als von Satan besessen verurteilen. Maria und seine Brüder lassen ihn jetzt „herausrufen“ und wollen mit ihm reden. Eine sicherlich unangenehme Situation für den erwachsenen Jesus, der mit seinen Freunden und Freundinnen zusammensitzt! Jesus ist aber nicht mehr von der Meinung seiner Familie abhängig und antwortet selbstbewusst, indem er auf seinen Freundeskreis hinweist: „Das sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mk 3,34f.)

Jesus hatte also seinen eigenen Kopf und war wahrscheinlich nicht ganz so familiär, wie man es sich von einem jüdischen Mann seines Standes hätte erwarten können. Nicht nur dass Jesus im Matthäusevangelium (10,37) sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ – Nein, er verhält sich nicht gesellschaftskonform, wenn er die patriarchale Ordnung in Frage stellt und Familienväter für die Nachfolge in das Gottesreich von ihren Kindern und (vielleicht eine Zeitlang) auch von ihren Frauen trennt.
Ganz offensichtlich war Jesus seine Berufung wichtiger als die Harmonie mit der Familie.

Irene Maria Unger

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Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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