Meditation - Gemeinsam
Sonnenblumen- Augenblick

Vor etlichen Jahren hatte ich einen Arbeitskollegen, mit dem ich acht Stunden tagtäglich in einem kleinen Zimmer verbracht habe. Bei so einer Konstellation – Schreibtisch an Schreibtisch – bekommt man praktisch alles von einem zunächst wildfremden Menschen mit: seine Gewohnheiten, seine Geräusche, ja sogar seinen Geruch. Angesichts einer derart erzwungenen Nähe gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man beginnt den anderen relativ schnell unausstehlich zu finden, oder man gewöhnt sich an ihn. Manchmal ärgert man sich gemeinsam über den Chef, und im besten Fall lacht man ziemlich viel miteinander.
In meinem konkreten Fall fand ich eines Morgens eine Sonnenblume auf meinem Schreibtisch. „Bitte sehr – weil du doch sicher Sonnenblumen magst!“ Der geschätzte Kollege, der in diesem Moment endgültig zu einem Freund wurde, ist schon lange tot. Aber wenn ich im Herbst die ersten Sonnenblumen auf dem Feld sehe, denke ich an ihn. In jeder Geschichte einer Freundschaft gibt es meiner Erfahrung nach so einen „Sonnenblumen-Augenblick“, wo Sympathie offen gelegt wird. Angelika Walser

Aus: In deiner Nähe geht es mir gut.
Warum Freundschaften lebensnotwendig sind.
Verlag Tyrolia, 2017


GEMEINSAM

Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam

besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Wänden.

Vergesset nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilte
ach und die geteilte

die uns aufblühen lässt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen.

Rose Ausländer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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