24. Sonntag im Jahreskreis | 13.09.2020
Meditation
Warum Kreuz?
In seiner schwersten Stunde ist Jesus allein. Wo sind seine Jünger? Aus Angst haben sie Reißaus genommen. Nur ein paar Frauen halten sich noch in der Ferne auf.
Jesus befindet sich in der Mitte des Geschehens. Angenagelt. Kann sich nicht rühren. Machtlos. Sterbend. Ein bedrückendes Bild der Ohnmacht Gottes. Da ist keine Hilfe sichtbar. Nur Kreuz und Spott. Kein Wunder. Kein Happy End. Keine Erlösung. In der Seele Jesu wird es stockfinster. Der selbst gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt“, er schreit zum Himmel: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Aber der Himmel schweigt. Keine befreiende Antwort in Sicht.
Das „Warum?“ klingt bis heute nach. Und es tut weh. Warum? Wenn Menschen mit unerklärlichem Leid konfrontiert werden. Warum gibt es Naturkatastrophen, Terror, Krieg? Warum sind Menschen betroffen von einer schweren Krankheit? Fragen, die keine schnelle Antwort vertragen.
Jesus selbst stellt diese Frage. Ein Mensch, der die Angst und den Schmerz des Verlassenseins kennt. Ein Mensch, der Fragen und Zweifel, Klage und Trauer nicht für sich behält. Er schreit sie heraus. Selbst dieser Schrei hat noch Gott als Adressaten. Auch in der tiefsten Gottverlassenheit hält Jesus an ihm fest. Gott selbst lässt sich anrufen. Sich anklagen. Er lässt sich ein auf das, was keiner will. Und was doch jeder erleiden muss: das Sterben. Gott ist im Tod. Ein Widerspruch, der gleichzeitig auch Hoffnung gibt.
Jetzt schweigt der Himmel nicht mehr. Die Sonne verfinstert sich. Über aller Menschen unter dem Kreuz geht das Licht aus. Gott hüllt die Welt ins Dunkel. Mit Jesu Todesschrei reißt der Vorhang des Tempels in zwei Stücke. Er ist entzweit. Durchgerissen. Der Vorhang trennt nicht mehr. Die Trennung zwischen dem, der allein heilig ist, und der unheiligen Welt ist aufgehoben. Die Erde bebt. Felsen zerbrechen. Grenzen, die festgeschrieben sind wie eine geologische Landkarte, brechen auf.
Der Kampf zwischen Leben und Tod entbrennt. Der Gott des Lebens und die Macht des Todes treffen aufeinander. Gräber leeren sich. Die Verstorbenen machen sich auf aus den Fesseln des Todes.
Etwas Gewaltiges rührt an die Fundamente der Welt. In dem, der ohnmächtig am Kreuz hängt, siegt die gewaltlose Gewalt der Liebe. Gott ist nicht mehr der Unnahbare. Jesus stirbt, und der Zugang zu Gott öffnet sich für alle Menschen.
Aus: Karl-Heinz Fleckenstein, Berge im Land der Bibel, Verlag Be & Be.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.