19. Sonntag im Jahreskreis | 11. August 2024
Meditation

Foto: iStock.com

Die Lektion der Ente

Auch Enten gehören zu unserer Nachbarschaft. Sie schwimmen in einem kleinen Teich, stehen oder sitzen herum und dösen.
Gelegentlich schnattern sie auch laut: quack, quack, quack. Das dauert meistens nur kurz, dann wird es wieder still. Vielleicht rufen sie sich etwas zu. Oder sie sagen laut, was wieder einmal gesagt werden muss. Manchmal streiten sie. Und wahrscheinlich schnattern sie oft ohne Grund und ohne Inhalt. So wie die Menschen auch.

Während die Menschen ihr Geschnatter wichtig nehmen, vergessen die Enten es gleich wieder. Der deutsch-kanadische Autor Eckhart Tolle spricht von der Lektion der Ente: Wenn zwei Enten streiten, veranstalten sie für einen Moment einen heftigen Lärm. Doch das dauert nie lange.

Nachdem sie sich angekeift haben, trennen sie sich und schwimmen weg, jede in eine andere Richtung. Sie schlagen noch ein paar Mal aufgeregt mit ihren Flügeln, als ob sie ihren Ärger abschütteln und überschüssige Energie loswerden möchten. Dann ziehen sie so ruhig und friedlich übers Wasser, als ob nie etwas diese Harmonie getrübt hätte.

Der Mensch dagegen ist kaum fähig, eine Sache, die ihn aufgeregt hat, sein zu lassen. Er trägt sie noch lange mit sich herum.

Sie ist zwar längstens Vergangenheit, doch in seinem Kopf schnattert es unermüdlich weiter, als ob die Geschichte Gegenwart wäre. Man ärgert sich, ängstigt sich, sorgt sich. Man überlegt hin und her, wie es so weit kommen konnte, was schief gelaufen ist und wie man die verfahrene Situation retten könnte. Man sinnt auf Rache. Man möchte die Vergangenheit korrigieren und die Sache rückwirkend zurechtbiegen. So kann das Geschnatter noch lange weitergehen, auch wenn es in der Umgebung längstens still geworden ist. Quack, quack, quack.
Da sind die Enten entschieden klüger. Sie tragen ihre Aufregung nicht lange mit. Sie lassen sie hinter sich und schwimmen wieder in aller Ruhe ihre Runden. Vorbei ist vorbei.

Aus: Lorenz Marti, Wer hat dir den Weg gezeigt? Ein Hund! Mystik an der Leine des Alltäglichen, Verlag Herder, Freiburg i. Br.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ