16. Sonntag im Jahreskreis | 23. Juli 2023
Meditation

Den Athos verlässt ein Schiff mit Arbeitern und Besuchern. Die Mönche bleiben, mit ihrem Ringen nach Gottsuche. | Foto: Nußbaumer
  • Den Athos verlässt ein Schiff mit Arbeitern und Besuchern. Die Mönche bleiben, mit ihrem Ringen nach Gottsuche.
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Propheten des Innehaltens

Die Zeit, so heißt es, ist die Herrin des Menschen. Sie gebirt ihn und trägt ihn zu Grabe. Sie gibt ihm, was sie will – und nicht, was er verlangt. Wie wahr.

Aber nicht am Athos, auf diesem allem Zeitlichen so abgewandten Berg. Eingekehrt in die Klöster des Heiligen Berges, gelingt es leichter als anderswo, aus unserer herrischen Zeit herauszutreten. Das Leben ein wenig anzuhalten, zu schauen und zu hören, um manches neu orientieren zu können.
„Ach, Zeit“, sagt mir ein Mönch in einer dieser zeitlosen Stunden, „Zeit, das ist eine Fiktion. Da wir alle in der Ewigkeit leben, ist Zeit unwichtig. Es gibt keine Hast, es gibt nur ein Leben erfüllt mit Gebet und Arbeit.“ So einfach ist das hier?

Mit Sicherheit leben die Mönche in einer anderen Zeitkultur; aus einer Erfahrung, aus der auch wir, die anderen, schöpfen können. Trotz aller Rücksichtslosigkeit, mit der die Errungenschaften unserer Zeit auch in die Klosterwelt einbrechen, sind die Mönche die großen Propheten des Innehaltens, des Ausbruchs aus dem allgegenwärtigen Zeitdruck. Sie sind die letzten Experten des Augenblicks, der reinen Gegenwart.
Die Mönche sagen uns: Einer der Gründe, warum wir uns oft so unbehaglich fühlen, liegt darin, dass wir entweder der Vergangenheit nachgrübeln oder uns Sorgen über die Zukunft machen. „Vergangenheit und Zukunft essen den Augenblick auf“, schreibt der Benediktiner David Steindl-Rast.

Nicht so die Mönche. Seit Jahren beobachte ich sie: Pater Hieronymus etwa, den Kirchendiener von Xenofontos. Immer und immer wieder zündet er während der nächtlichen Liturgie dieselben Kerzen an und löscht sie wieder aus. Er macht es jedes Mal mit der gleichen liebevollen Sorgfalt und Aufmerksamkeit.

Oder Pater Lukas, der derzeit wohl größte lebende Ikonenmaler. Mindestens 200 Jahre müsste er werden, um allein die jetzt vorliegenden Aufträge zu erfüllen. Und doch: Wenn darußen im Klosterhof das Simandron schlägt, die Stundentrommel, dann legt er den Pinsel weg, in dieser Minute – egal, was er gerade tut und wieviel noch zu tun ist –, und geht zur Kirche. Da ist nichts fahrig, nichts hektisch und nichts zerrissen.
Die Zeit ist wertvoll, aber nicht knapp, sagen die Mönche. Und „chronos“, die Uhrzeit, ist weniger wichtig als „kairos“, die rechte Zeit. Der heilige Augenblick.

aus: Heinz Nussbaumer, Der Mönch in mir, Styria

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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