7. Sonntag im Jahreskreis | 19. Februar 2023
Meditation

Foto: Illustration: Siegfried Marcus

Papst und Hausmeister

Im späten Mittelalter wurde der Papst von seinen Ratgebern gedrängt, die Juden aus Rom auszuweisen. Als die Juden dagegen protestierten, machte er ihnen den Vorschlag, sie sollten jemand benennen, der mit ihm in Pantomime debattiert. Wenn ihr Sprecher gewänne, könnten die Juden bleiben.

Aber es fand sich bei den Juden kein Freiwilliger. Als das der Hausmeister der Synagoge erfuhr, stellte er sich dem Oberrabbi zur Verfügung, die Juden bei dieser pantomimischen Debatte mit dem Papst zu vertreten.

Zu Beginn der Debatte hob der Papst einen Finger und fuhr damit über den Himmel. Der Hausmeister zeigte sofort energisch auf die Erde. Der Papst, sichtlich überrascht, hob noch würdevoller wieder einen Finger und hielt ihn dem Hausmeister nachdrücklich vors Gesicht. Der Hausmeister hob daraufhin drei Finger und hielt sie genauso bestimmt vor das Gesicht des Papstes. Dann griff der Papst mit der Hand in sein Gewand und holte einen Apfel aus der Tasche. Daraufhin griff der Hausmeister in seine Papiertasche und holte ein flaches Stück Matze (ungesäuertes Brot) heraus. Jetzt erklärte der Papst mit lauter Stimme: „Der jüdische Vertreter hat die Debatte gewonnen. Das Ausweisungsedikt wird zurückgezogen.“

Nun drängten sich die Kardinäle um den Papst und wollten wissen, was diese Debatte bedeutet hatte. „Dieser Mann ist ein brillanter Theologe“, sagte der Papst. „Ich bewegte meine Hand über den Himmel, um anzudeuten, dass das ganze Universum Gott gehört. Er zeigte mit seinen Fingern nach unten, um mich an die Hölle zu erinnern, wo der Teufel herrscht. Ich hob dann einen Finger, um zu zeigen, dass Gott Eins ist. Da erhob er drei Finger und schloss sich damit unserer Lehre von der Dreifaltigkeit an. Ich holte nun einen Apfel heraus, um anzudeuten, dass nach (damals) neueren Theorien die Erde rund sei. Er zog sofort einen Brotfladen heraus, weil die Erde in der Bibel eine Scheibe sei.“

Gleichzeitig fragten die Juden den Hausmeister, wie es gewesen sei. „Zunächst bewegte der Papst seine Hand, als wolle er den Juden sagen: Raus aus Rom! Also zeigte ich nach unten, um klarzumachen, dass wir hierbleiben. Dann zeigte er mit dem Finger drohend auf mich, ich solle nicht unverschämt werden. So hob ich drei Finger, um ihm zu verstehen zu geben, dass eine Ausweisung dreimal so unverschämt sei. Und was machte er dann? Er holte sein Frühstück heraus. Also holte ich auch meines.“

gekürzt nach Anthony de Mello

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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