5. Sonntag im Jahreskreis | 6. Februar 2022
Meditation

Zäsur

München im September, ein wunderbarer Herbsttag. Das Datum prägte, ja brannte sich mir ein. Denn es veränderte alles, schlagartig „out of the blue“, wie die Amerikaner sagen: 25. September 2017. Darmspiegelung bei einem Gastroenterologen. Ich kannte die Prozedur. Ohne große Vorahnung oder ernsthafte Befürchtungen ging ich in die Arztpraxis.

Schon wegen der Lokalanästhesie sind die meisten ein wenig aufgeregt. Aber man bekommt nicht viel mit, wacht wieder auf – fährt nach Hause: per Taxi oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, vorsichtshalber. Als ich wieder bei Bewusstsein war, fühlte ich mich nicht unwohl – ich wartete auf das Arztgespräch. In der Hoffnung, für die in den letzten Monaten aufgetretenen Beschwerden eine plausible Auskunft zu erhalten.

Ich sehe den Doktor noch vor mir, es ist wie gestern: „Die Ursache für Ihre Probleme sind gefunden. Leider ist es ein bösartiger Tumor, ziemlich groß.“ Mehr als ein „So!“ brachte ich zunächst nicht heraus. Nach einer ersten Schrecksekunde dann: „Und was bedeutet das?“ „Ich organisere für Sie einen Termin in einem Klinikum, gleich morgen.“ Ein kurzer Telefonanruf genügte. „Ihnen steht eine größere Operation bevor, vielleicht auch Chemotherapie.“ So etwas sitzt! „Wie stehen meine Chancen?“ „Darmkrebs ist sehr gut erforscht. Die Aussichten, dass sie das alles überleben, stehen sehr gut. Es gibt hervorragende Ärzte auf diesem Gebiet.“
Krebs! Einmal ausgesprochen – auf mich zugesprochen, verändert das alles. Krebs: Wuchtig ist dieses kleine Wort, bedrohlich, dunkel. Das ist also die Zäsur in meiner Lebensgeschichte? Die erste Gefühlslage reichte von: „Das war‘s!“ bis „Kämpfen!“ Ich dankte dem Arzt für seine Offenheit. Benommen verließ ich die Praxis. Bevor ich ein Taxi bestieg, betrachtete ich die Bäume an der belebten vierspurigen Straße, die bunten Blätter, die Herbstsonne. Als wäre es das erste Mal! Wie lange noch?, durchzuckte es mich.

Dem Tod ins Angesicht geschaut habe ich nie wirklich, auch nicht seit dem 25. September 2017. Oder ich wusste es nicht. Wer überlebt, spürt schnell: Es beginnt ein Weg. Zu Ende ist nur die Behandlung. Gehen und gestalten muss den Weg jeder Mensch selbst. Der Christ darf hoffen, dass er in Gottes Arme führt. Ich bete darum. Und am Ende, ganz am Ende eines Lebens, am Übergang zu einem anderen, stehen hoffentlich – für immer – die Worte: „Ich bin da – für dich!“

Aus: Andreas R. Batlogg, Durchkreuzt. Mein Leben mit der Diagnose Krebs. Tyrolia 2019.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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