Pfingstsonntag | 23. Mai 2021
Meditation
Empfangen können
Geben und nehmen. Ich erzähle euch, was ich beobachtet habe: Eine Mama bekommt von ihrem Kind im Spiel ein imaginäres Geschenk überreicht. „Oh, warum bekomme ich ein Geschenk? Ich hab’ ja gar nicht Geburtstag!“ ruft sie aus. Das Kind überlegt kurz. „Du bekommst ein Geschenk, weil du brav warst.“ – Eine Frau fragt ihren Tischnachbarn, ob er ihr eine Semmel reichen könne. „Was bekomme ich dafür?“, fragt er scherzend. – Eine Freundin fragt mich, wann ich endlich ein paar alte Möbelstücke wegschmeiße und gegen neue zum Raum passende eintausche. Sie versteht nicht, dass ich mit diesen Möbeln eine Geschichte verbinde und dass sie mir wertvoll sind, auch wenn sie nicht perfekt dazupassen. – Ihr merkt: Geben und Nehmen durchdringen unseren Alltag.
Der Geber gibt sich in der Gabe. Meine alten Möbelstücke habe ich von Menschen bekommen, die mir wichtig sind. In ihnen ist gegenwärtig, was mich mit diesen Menschen verbindet. Noch deutlicher wird das beim Ehering. Die Partner drücken damit aus, dass sie sich selbst einander schenken wollen.
Wenn sich aber der Geber selbst in der Gabe mitschenkt, ist es ganz entscheidend, wie der Empfänger reagiert. Nur wenn er/sie das Geschenk wirklich annimmt, kann der Mensch zum Geber werden und sich ganz schenken. Denkt zum Beispiel an die Flasche Wein, die ihr zur Einladung bei einem Freund mitbringt. Sie kann die liebevoll ausgesuchte Lieblingssorte des Freundes sein – oder ein Verlegenheitsgeschenk der letzten Sekunde. Doch selbst wenn sie eilig als nächstbeste Flasche geschnappt war: Vielleicht nimmt der Freund sie freudig an und sagt: „Ma, weißt du noch, genauso einen Wein haben wir damals getrunken, als wir uns kennen gelernt und uns bis spätnachts unterhalten haben.“ Das Geschenk kam zwar nicht aus tiefstem Herzen. Doch indem er es herzlich empfängt, macht dich der Freund zum echten Geber. Das erfüllt nun auch dich mit Freude. Je nachdem, wie wir ein Geschenk empfangen, lassen wir zu, dass der andere sich mit diesem Geschenk wirklich uns schenken kann, oder eben nicht.
Ein Geschenk ist gratis. Kannst du es zulassen, dass man dich beschenkt? Oder überlegst du dann sofort, wie du eine adäquate Gegenleistung erbringen kannst? Das Wesen eines Geschenkes ist, dass es gratis ist. Man muss es sich nicht verdienen. Ein Geschenk darfst du voll Freude annehmen, ohne Gegenleistung.
Elfriede Demml
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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