Kirche und Sexualität | Teil 05
Sexualität in der Patristik

Die Kirche hatte den Wandel von einer verfolgten Minderheitssekte zur geduldeten Religion (313) hin zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reiches (380) zu bewältigen. Hart wurde um das Verständnis und die Bewahrung des rechten Glaubens gerungen. Eine Herausforderung war die Auseinandersetzung mit der antiken Philosophie.

Ging es anfangs um die Verteidigung des christlichen Glaubens vor falschen Anschuldigungen, trat schon bald das Bemühen in den Vordergrund, das Christentum als die der heidnischen Philosophie überlegene Religion darzustellen. Die christlichen Denker versuchten, anhand philosophischer Begriffe und Denkmuster den Glauben zu entfalten, nicht zuletzt auch deshalb, um die gebildete Oberschicht zu erreichen.
 

Leib und Seele

Damit fanden aber auch Denkweisen Eingang in das christliche Denken, die nicht biblisch waren. Ein Aspekt war die dualistische Auffassung des Menschen im Neuplatonismus, der in mannigfaltigen Formen bis zum 6. Jahrhundert die letzte große Strömung der antiken Philosophie darstellt. War es in der biblischen Sichtweise immer ein und derselbe Mensch, ob unter dem seelischen oder körperlichen Aspekt betrachtet, so war er im Dualismus gespalten in Leib und Seele: Der sterbliche Körper galt als Grab für die unsterbliche Seele. Das „Eigentliche“ des Menschen, die Seele, müsse sich durch Askese und durch die Kraft des Verstandes in geistiger Erkenntnis mehr und mehr vom körperlichen Substrat des Leibes lösen, um so frei zu werden. Verstärkt wurde diese Tendenz durch das stoische Ideal der Überwindung der Affekte und Leidenschaften. Sexuelle Enthaltsamkeit galt als Tugend, um die materiell gefesselte Seele zur reinen Geistigkeit zu befreien.

Ideal der Jungfräulichkeit

Auf diesem Hintergrund fanden Christen, die ehelos lebten, Bewunderung von den heidnischen gebildeten Schichten. Besonders seit der Mitte des 3. Jahrhunderts gewann in der Kirche das Ideal der Jungfräulichkeit an Einfluss, und zwar ausgehend von der Bewegung des Mönchtums. Nach dem Ende der blutigen Christenverfolgungen fanden Männer und Frauen darin ihre Berufung zur Christusnachfolge, bei der sie zwar nicht ihr Leben verloren, es aber dennoch opferten, indem sie auf vitale Lebensbedürfnisse wie Nahrungsaufnahme, Schlaf, Sexualität usw. verzichteten. Als biblische Grundlage diente der Rat des Paulus zur Ehelosigkeit (1 Kor 7), aber auch Worte Jesu im Evangelium wie z. B. Mt 19,12. Origenes (185–254) soll diese Stelle allzu wörtlich genommen und sich entmannt haben. Diese Radikalität wurde von kirchlichen Autoritäten aber nie gutgeheißen. Die Berufung zur Ehelosigkeit wurde jedoch mehr und mehr als die der Ehe überlegene Form der Christusnachfolge angesehen, obwohl dies nicht der ursprünglichen Intention der monastischen Lebensweise entsprach.
In diesem Klima waren auch leib- und frauenfeindliche Schriften keine Seltenheit. Eva, „die Frau“, wurde für den Sündenfall verantwortlich gemacht und sogar als „Einfallstor des Teufels“ bezeichnet (Tertullian).

Augustinus

Besondere Beachtung verdient Augustinus (354–430), ein genialer und hochkomplexer Denker, der die Sexualmoral der Kirche nachhaltig geprägt hat. In den Bekenntnissen, einer autobiographischen Schrift, öffnet er sein Herz, das getrieben war vom Hunger und Durst nach Selbsterkenntnis und schließlich nach Gott, dem er im Christentum begegnet ist. Er berichtet von seiner tiefen Liebe zu einer Frau, die ihm einen Sohn, Adeodatus, geschenkt hat, die er aber aufgrund der Intrigen seiner Mutter Monika nicht heiraten durfte, weil die Beziehung nicht standesgemäß war. Ohne Scham bekennt er das sexuelle Verlangen seines Körpers, das so stark war, dass er auch nach der Trennung von seiner Geliebten nicht enthaltsam leben konnte. Eine Zeit lang hing er der extrem dualistischen Sekte des Manichäismus an, die alles Körperliche verteufelte.
Nach seiner Taufe durch Ambrosius von Mailand spürte Augustinus, dass keine Frau die von ihm geliebte, aber verlassene Konkubine ersetzen konnte. Diesen Platz wollte er allein Gott vorbehalten. So rang er sich zur sexuellen Enthaltsamkeit durch. Er machte damit seine Mutter glücklich, die beruhigt sterben konnte, sah sie doch ihren Sohn den Weg der Heiligkeit beschreiten.

Sexuelle Begierde

Augustinus konnte oder wollte Monika nicht für das Ende seiner Beziehung verantwortlich machen, also musste ein anderer Grund herhalten: die Konkupiszenz, die sexuelle Begierde, die er als sündhaft brandmarkte. Er unterlag den Nachwirkungen des Manichäismus, aber auch einem Übersetzungsfehler in der Vulgata, wonach Paulus die Ehe nicht als „Zugeständnis“, sondern als „Vergebung“ für das sexuelle Begehren eingeräumt habe (1 Kor 7,6): der Vergebung bedürfe es nur bei Sünde, daher müsse die Begierde sündhaft sein. Der Geschlechtsverkehr könne also nur deshalb sittlich erlaubt sein, weil er zur Zeugung von Kindern notwendig ist. Die Konkupiszenz war für Augustinus auch deshalb sündig, weil sie das Verlangen des Menschen nach Gott, dem höchsten und schönsten Gut, trübe, und weil durch sie die Vernunft die Kontrolle über die Regungen verliere. Beides widersprach einem stoisch und neuplatonisch geprägten Ideal zutiefst.

Caesarius von Arles

Die Auswirkungen zeigen sich etwa auch bei dem in Gallien einflussreichen Mönch Caesarius von Arles (470–542). Er vertrat eine strenge Kloster- und Kirchendisziplin und lebte derart asketisch, dass er gesundheitlich Schaden nahm.
Als Erzbischof von Arles übertrug er sein monastisches Ideal auch auf die Eheleute und forderte von ihnen unter Berufung auf Paulus (1 Kor 7,5; 11,27–29) sexuelle Enthaltsamkeit in den Tagen vor dem Empfang der Eucharistie, damit ihr Gewissen rein bleibe. Während für Paulus die konkret geübte Nächstenliebe und die soziale Rücksichtnahme für die Teilnahme an der Eucharistie entscheidend waren, wurde das Verständnis der moralischen Reinheit mehr und mehr auf die sexuelle Enthaltsamkeit verengt. Damit waren die Weichen gelegt für eine Sexualmoral, deren Leib- und Sexualfeindlichkeit für die gesamte Tradition wirkmächtig wurden und bis heute nachwirken.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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