APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
52. Hat Jesus die Kirche gegründet?

 

Eine von Jesus unterzeichnete Gründungsurkunde für eine religiöse Organisation gibt es nicht. Auch kein diesbezügliches Organigramm aus seiner Hand. Aber der „Grund“ dafür, dass später so etwas wie die christliche Kirche entsteht, ist zweifelsohne Jesus von Nazaret, der vor 2000 Jahren das Reich Gottes verkündete.

Er tat dies nicht als Einzelgänger, sondern sammelte gleich am Anfang seines Wirkens Männer und Frauen um sich, damit sie ihn begleiten und mit ihm die Liebe Gottes bezeugen: eine Liebe, die vor allem die „Verlorenen“ und Verachteten im jüdischen Volk erreichen soll. Es ging in dieser Weggemeinschaft durchaus fröhlich zu.

Jesus sagte einmal, seine Jünger und Jüngerinnen dürfen sich wie „Hochzeitsgäste“ fühlen (vgl. Mk 2,19). Den Gegnern Jesu gefiel das alles weniger. Sie sorgten für Gegenwind. Schließlich kam es zur Hinrichtung Jesu am Kreuz. Damit schien auch das Ende seiner Jüngergemeinschaft besiegelt zu sein, wie ein Prophetenwort sagt: „Schlag den Hirten, dann werden sich die Schafe zerstreuen!“ (Sach 13,7) Aber nach anfänglicher Verwirrung und Enttäuschung machten die Jünger und Jüngerinnen überraschend eine aufwühlende Erfahrung: Der Gekreuzigte lebt – auf neue wunderbare Weise! Und bald darauf fühlen sie sich vom Geist Gottes „angefeuert“, diese Botschaft auch furchtlos zu verkünden. (Die späteren Ostererzählungen der Evangelien und die Pfingsterzählung der Apostelgeschichte sind Versuche, das Unsagbare dieser Erfahrungen anschaulich und volksnah darzustellen.) Die Jüngerschaft Jesu erkennt immer klarer: Gott hat Jesus und das, was dieser unter uns begonnen hat, nicht verworfen, sondern bestätigt! Jesus ist der Messias (Christus), der allen Menschen das Heil Gottes bringen kann. Wer diese Hoffnung teilt, schließt sich der Jesusgruppe an. So entsteht die Urgemeinde in Jerusalem.

Die Mehrheit des jüdischen Volkes erkennt Jesus allerdings nicht als Messias an. Aber bald interessieren sich Frauen und Männer aus der heidnischen Umwelt für Jesus und glauben an ihn. Daraus wächst eine Gemeinschaft, die die Grenzen des Judentums sprengt und „Kirche“ genannt wird. Im griechischen Urtext des Neuen Testamentes wird dafür das Wort ekklesía verwendet, und zwar für die christliche Einzelgemeinde wie auch für die gesamte christliche Gemeinschaft. Es bedeutet „Versammlung“, heißt aber wörtlich
„Herausgerufene“. Die Christusgläubigen verstehen sich ja nicht bloß als „Jesus-Gedächtnisverein“, sondern als von Gott aus verschiedenen Völkern Heraus- und Zusammengerufene, die jetzt im Namen Jesu und in der Kraft des Heiligen Geistes die Liebe Gottes in der Welt bezeugen.

Wichtige Erkennungszeichen ihrer Gemeinschaft sind: das Bekenntnis zu Jesus Christus und seiner Botschaft; die tätige Nächstenliebe, die auch Feindesliebe einschließt; die Taufe als innere Verbindung mit Christus und das gemeinsame „Mahl des Herrn“. Die Getauften verstehen sich als Geschwister, die je nach Fähigkeit und „Charisma“ (Gnadengabe) einander dienen. Die Apostel, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind dabei in der Anfangszeit maßgebliche Autoritäten. Als die Zeit der Apostel zu Ende geht, kristallisieren sich bald bestimmte Ämter heraus, die in der „Nachfolge der Apostel“ die junge Kirche leiten: Bischöfe, Presbyter, Diakone und auch andere Dienste. Es entfaltet sich das, was man später „Hierarchie“ nennt.

Bald wächst auch die Autorität der Kirche von Rom und ihres Bischofs, der sich als Nachfolger des Apostels Petrus versteht. Das erregt auch Widerspruch. Es kommt zu Kirchen- und Glaubensspaltungen (in viele Konfessionen). Vieles, was im Lauf der Geschichte durch Kirchenführer, christliche Fürsten, aber auch einfache Kirchenmitglieder geschieht, entspricht nicht dem Geist Jesu. Kirchenkritik – sie komme von innen oder von außen – ist daher wichtig, ja sogar notwendig. Denn die Kirche versteht sich selbst als ecclesia semper reformanda, also als „Kirche, die ständig der Reform bedarf“. Immer wenn sie sich darauf besinnt, dass ihr Ursprung, ihre Mitte und der Maßstab ihres Handelns Jesus Christus ist, geschieht durch sie ungemein viel Gutes in der Welt. Auch heute.

Karl Veitschegger

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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