Positionen - Ernest Theußl
Wird ER übersehen?

Ein katholischeres Fest als Fronleichnam gibt es nicht. Die öffentliche Zur-Schau-Stellung des innersten Geheimnisses der Kirche, der in den Leib Christi verwandelten Hostie. Es war nicht ganz leicht, die im Jahre 1215 formulierte Lehre von der Wesensverwandlung unter die Leute zu bringen. Da bedurfte es schon großer Hilfe von oben, die unvollständige Mondscheibe der Juliane in Lüttich etwa, oder die blutende Hostie in Bolsena.

Zu allem Bedauern ist dieses Fest auch zu einer konfessionellen Barriere geworden, der rechten Lehre wegen, oder aus kirchenpolitischen Gründen, wie es uns die orthodoxen Kirchen derzeit vorzeigen. Man schließt sich gegenseitig vom „gemeinsamen“ Mahl aus.

Trotzdem: Bei aller Demonstration kirchlichen Glanzes ist die Prozession ein weithin erfahrbares religiöses Zeichen in die säkulare, weltliche Welt hinein. Ein Fenster, eine Luke gar, die den Blick freigibt hinein in eine andere Welt, die wir Transzendenz nennen. Es ist ein flüchtiger Blick über unseren Alltag hinaus, ein frühsommerliches Wahrnehmen des Göttlichen. Und ein intensives Gemeinschaftserlebnis obendrein, wenn frühmorgens unzählige Hände darangehen, bunte Teppiche am Prozessionsweg zu legen und die Fenster mit Blumensträußen zu schmücken.

Und dennoch: Da ziehen sie dann vorüber, die prächtig gekleideten Priester, große und kleine Leute in liturgischer Gewandung, Blumenkinder, Himmel- und Fahnenträger in festlicher Stimmung, aber, um es mit Kurt Marti zu sagen: IHN übersieht man ganz.

Ernest Theußl

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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