Mutworte - Christa Carina Kokol

Es wird licht in der Bim

Maria, die Mutter Jesu, hat ihr persönliches Ja gesprochen. Durch ihre selbstverständliche Entscheidung kommt Licht in die Welt.

„Das ist doch selbstverständlich“, sagt auch der Mann in der Straßenbahn nach einer äußerst brenzligen Situation: Eine Frau, auf Krücken gestützt, will mit ihrem kleinen Kind zusteigen. Die Krücken stehen bereits ins Wageninnere, als sich die Türe, bis auf eine schmale Öffnung, schließen will. Der Mann, von großer, kräftiger Statur, springt geistesgegenwärtig dazwischen, um diese wieder aufzustoßen. Als sich die Frau gerade noch die Stufen emporheben kann, steht draußen ein kleiner Junge, der verzweifelt nach seiner Mama ruft. Während die übrigen Fahrgäste an ihren Handys spielen, die Situation unbeteiligt verfolgen oder gelangweilt aus dem Fenster blicken, stellt sich der Mann auf die Einstiegsstufen. Mutter und Kind können sich unbeschadet in die Arme schließen. Da kommt Licht in die Bim – nicht nur für die Beteiligten.

Mit jeder Entscheidung, die ich treffe, forme ich meine Identität. „Eine Tat beweist gar nichts. Es ist die Masse an Taten, ihre Summe, welche die Persönlichkeit eines Menschenwesens ausmachen“ (nach Anatole France). „Das ist doch selbstverständlich, mir tat der Kleine so leid“, sagt der Mann in der Straßenbahn. Ja, es ist selbstverständlich für ihn. Denn er hat sich durch die vielen alltäglichen Entscheidungen zu diesem einfühlsamen, hilfsbereiten Menschen mit Zivilcourage geprägt. Nach seinen persönlichen Möglichkeiten und Talenten. Und was ist für mich selbstverständlich?

Christa Carina Kokol ist dipl. psychotherapeutische Beraterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl.