Ein Papst träumt
Fratelli tutti lautet der Titel der neuen Enzyklika von Papst Franziskus, die er in Assisi unterschrieb.
Der Papst träumt: Es müsse eine Welt möglich sein, in der sich Menschen als Brüder und Schwestern anerkennen, Konflikte im Dialog lösen und auf dem Weg der Entwicklung niemanden zurücklassen, sondern allen Raum zur Mitgestaltung geben. Das sei „keine pure Utopie“. Mit der Hoffnung seiner 83 Jahre hat Papst Franziskus seine Vision den Gläubigen und der Welt als Lehrschreiben vorgelegt.
Einen „demütigen Beitrag zum Nachdenken“ nennt Franziskus seine Enzyklika „Fratelli tutti“. Doch was ihn dazu antreibt, wiegt schwer: die globale Ungleichverteilung von Ressourcen und Chancen, die Ausgrenzung ganzer Schichten und Nationen, eine ungebrochene Tendenz, Eigeninteressen den Vorzug vor Solidarität zu geben. Die Covid-Pandemie hat es für den Papst als trügerische Illusion entlarvt, „zu glauben, dass wir allmächtig sind, und zu vergessen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen“.
An alle Brüder und Schwestern
Mit welchen großen Idealen, aber auch auf welchem konkreten Weg lässt sich eine gerechtere und geschwisterlichere Welt aufbauen, was die privaten, die sozialen, aber auch die politischen oder die internationalen Beziehungen betrifft? Das ist die Frage, auf die „Fratelli tutti“ zu antworten versucht. Der Papst stuft sie selbst als „Sozialenzyklika“ ein. Sie entlehnt ihren Titel den Ermahnungen des hl. Franz von Assisi, der sich mit diesen Worten „an alle Brüder und Schwestern“ wandte, „um ihnen eine dem Evangelium gemäße Lebensweise darzulegen“.
Zur Lösung von Konflikten setzt Franziskus auf Dialog und internationale Vermittlung. Die Rolle der Vereinten Nationen will der Papst gestärkt sehen, Krieg und Rüstung als Mittel der Politik weist er rigoros zurück. Zum Thema Migration betont Franziskus, solange in den Herkunftsländern die Bedingungen für ein Leben in Würde fehlten, gelte es das Recht eines jeden Menschen zu respektieren, einen Ort für die Verwirklichung seiner Person zu finden.
Gläubige und Nichtglaubende
Zu seinem Plädoyer für „Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“, wie die 150-seitige Schrift im Untertitel heißt, ließ sich Franziskus von Ahmad Al-Tayyeb anregen, dem Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität, mit dem er 2019 in Abu Dhabi ein „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“ unterzeichnete. Eher unüblich für die Vorstellung einer päpstlichen Enzyklika, saß der Gelehrte Mohamed Abdel Salam auf dem Podium. Er bekannte sich als Muslim „in Einklang mit dem Papst“. Franziskus nennt weitere Nichtkatholiken wie den US-Bürgerrechtler Martin Luther King, den südafrikanischen Anglikaner Desmond Tutu und Mahatma Gandhi als Inspirationsquellen.
Der wohl bekannteste Traum eines Papstes ist der von Innozenz III., dem der heilige Franz von Assisi erschien, wie er die wankende Kirche stützt. Giotto malte die Szene in einem berühmten Fresko in der Basilika San Francesco in Assisi. Der heutige Papst träumt, wie eine Welt, die „ohne einen gemeinsamen Kurs läuft“ und immer mehr aus den Fugen gerät, von Gläubigen aller Religionen und auch Nichtglaubenden gestützt wird.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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