Interview
Wie wird man ein Heiliger?
Was einen Menschen heilig macht. P. Anton Witwer, SJ., Experte für Selig und Heiligsprechungen, erzählt vom Verfahrensprozess und wer sein persönlicher Lieblingsheiliger ist.
P. Witwer, Sie zählen zu den Experten weltweit für Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Können Sie uns einen Einblick in dieses faszinierende Thema geben?
Jeder Christ kann eine Initiative starten, der das Gefühl hat: Diese Person ist für mich eine Heilige oder ein Heiliger. Dann muss eine juridische Person konstituiert werden: Das kann ein Freundeskreis dieser Person, ein ziviler oder ein kirchlicher Verein sein. Oft sind auch die Diözesen oder Orden mit eingebunden, weil eine einzelne Person nicht in der Lage ist zu garantieren, dass sie diesen Prozess, der oft über mehrere Jahrzehnte laufen kann, auch zu Ende bringt. Und jemand auch für die finanziellen Erfordernisse aufkommen muss. Die juridische Person ernennt einen Diözesanpostulator, vergleichbar einem Rechtsanwalt, der ein Bittschreiben an den Bischof richtet. Dieser wiederum muss beurteilen: Gibt es wirklich eine Verehrung für diese Person in einem nennenswerten Teil der christlichen Bevölkerung? Welche positiven Auswirkungen zur Vertiefung des Glaubens sind von einer künftigen Seligsprechung zu erwarten? Wenn auch die Bischofskonferenz grünes Licht gibt, kann der Bischof offiziell beginnen. Wobei: Früher hat alles in Rom begonnen. Dass seit 1983 die Diözesen
selbst Verfahren einleiten dürfen, hat eigentlich zur Vervielfachung von Selig- und Heiligsprechungsverfahren gerade unter Johannes Paul II. beigetragen.
Wie sieht diese „diözesane Phase“ aus?
Zunächst werden drei Personen ernannt: ein Delegat des Bischofs, der als Diözesanrichter den Bischof vertritt. Dann ein „Promotor iustitiae“, der einem Staatsanwalt vergleichbar schaut, ob alles rechtmäßig läuft. Schließlich ein Notar, der die Zeugeneinvernahmen getreu zu protokollieren hat. Wobei Delegat sowie Promotor iustitiae Priester sein müssen, der Notar nicht. Dann erfolgt die öffentliche Ankündigung im Amtsblatt und in den Kirchen sowie die Eröffnungssitzung, in der alle betrauten Personen vereidigt werden, etwa um über alles auch Stillschweigen zu bewahren, zum Schutz der Zeugen. Zudem ernennt der Bischof zwei theologische Zensoren, die die veröffentlichten Schriften des „Dieners“ oder der „Dienerin Gottes“ überprüfen: Ob nichts enthalten ist, was gegen den Glauben und die Sittenlehre der Kirche spricht. Denn wenn so etwas auftauchen würde, kann ich die weiteren Schritte gleich streichen.
Was ist Voraussetzung für eine Seligsprechung?
Die Erklärung der „heroischen Tugendhaftigkeit“ und die Anerkennung eines „Wunders“ auf die Fürsprache dieses Dieners, dieser Dienerin Gottes. Wobei von einem Märtyrer kein Wunder verlangt ist, weil zur Hingabe des Lebens jemand nicht aus eigener Kraft fähig ist. Die heroische Tugendhaftigkeit wird zunächst von der historischen Kommission dahingehend kontrolliert, ob die ganze Dokumentation und die Zeugenbefragungen für ein Urteil ausreichend sind. Anhand deren Voten und der „Positio“ des Postulators prüft dann die theologische Kommission (ähnlich dem früheren „advocatus diaboli“) alles, was eventuell dagegensprechen könnte.
Was braucht es zur Anerkennung eines Wunders?
Für ein Wunder braucht es einen eigenen Prozess, der in jener Diözese stattfinden muss, in der das Wunder geschehen ist. Zuerst müssen die Zeugen befragt, dann die entsprechenden Ärzte und das Pflegepersonal angeschrieben werden, um sie um ihre Aussage zu bitten. Die medizinische Kommission muss nicht sagen, „das ist ein Wunder“, aber sie muss deutlich machen, dass diese Heilung medizinisch nicht erklärbar und auf keine Therapie zurückzuführen ist. Auf der theologischen Seite gilt es, diese kausale Verbindung mit moralischer Sicherheit feststellen zu können: dass die Heilung mit der zeitgleichen Anrufung des Dieners Gottes oder des Seligen zusammenhängt. Wenn nun Leute zum Beispiel zu verschiedenen Personen gebetet haben, dann kann man vielleicht sagen,
es ist ein Wunder, aber es hilft mir nichts
für diesen konkreten Fall.
Was ist der Unterschied zwischen Selig- und Heiligsprechung?
Die Seligsprechung ist nur ein kirchenrechtlicher Akt, mit dem die Kirche die öffentlich-liturgische Verehrung in der betreffenden Lokalkirche erlaubt. Die Seligen sind sozusagen „lokale Heilige“. Die Heiligsprechung ist ein dogmatischer Akt, weshalb auch ein weiteres Wunder nach der Seligsprechung erforderlich ist. In der Heiligsprechungsformel des Papstes heißt es: „Wir definieren und erklären, dass diese/r Selige in das Buch der Heiligen im Himmel eingeschrieben ist.“ Seligsprechungen finden normalerweise in der Diözese und Heiligsprechungen in Rom statt.
Was passiert in der „römischen Phase“?
Sie waren ja von 2008 bis 2017 als Generalpostulator für die Jesuiten dort tätig.
Wenn die Akten nach Rom gekommen sind, beantrage ich als römischer Postulator von der „Kongregation für die Fälle der Heiligsprechungen“ die Eröffnung der Akten. Das ist eine eigene kleine offizielle Feier, bei der das Siegel kontrolliert und geöffnet wird und man die Unterlagen auf ihre Vollständigkeit hin prüft. Wobei diese „copia publica“ schon einmal 5000 Seiten oder 20 bis 25 Bände umfassen können. Allein beim Seligsprechungsverfahren von Kardinal Pironio hatte ich 90 Zeugen zu über 240 Fragen.
Das Richtertribunal schließlich ist die sogenannte „Ordinaria“, bestehend aus 10 bis
15 Kardinälen und Bischöfen, die das Urteil
treffen, das jedoch erst durch die Unterschrift des Papstes rechtskräftig wird.
Wieso sind die Heiligsprechungsprozesse so streng?
Sie sind nicht eingeführt worden, um dadurch mehr Heilige zu haben, sondern um einer falschen Heiligsprechung Einhalt zu gebieten. Im Frühmittelalter hat sich immer wieder irgendein Scharlatan als Wunderheiler gebärdet, der von der Bevölkerung verehrt wurde, obwohl er eher ein Verbrecher war. Deshalb hat man im 10. Jahrhundert angefangen, das sorgfältig zu prüfen, und die
Verfahren im Lauf der Zeit verfeinert.
Worum geht es eigentlich bei Selig- und Heiligsprechungen?
Paulus bezeichnet alle Getauften als Heilige Gottes. Bei Heiligsprechungen geht es um die Frage: Warum unterscheidet sich diese Person vom Durchschnitt, im Verhältnis zur Gruppe, in der sie drinnen steht? Damit gelten bei einem Seligsprechungsverfahren für einen Papst wie aktuell Johannes Paul I. auch andere Vergleichskriterien. Von einem Bischof wird etwas Anderes erwartet als von einem Fabrikarbeiter oder einer Hausfrau. Mit der Heiligsprechung sagt die Kirche: Ja, die oder den könnt ihr wirklich als Vorbild und Fürsprecher annehmen und anrufen. Persönlich kann ich genauso meine verstorbenen Eltern um ihr Gebet bitten und Menschen als Heilige ansehen, die für mich beten. Aber dass ich das öffentlich machen kann, dazu
ist eine Heiligsprechung notwendig.
Wie sehen Sie nach so viel beruflicher Erfahrung die Heiligen?
Mir ist wichtig, die Bedeutung der Heiligenverehrung auch in der Berufungspastoral zu sehen, um deutlicher wahrzunehmen, wie Gott an Menschen und damit auch durch mich wirken kann. Ich kann nur in dem Maße das Werkzeug in der Hand Gottes sein, wie ich an Gott glaube und glaube, Gott braucht mich. Es geht bei den Heiligen nicht um das Sehen von menschlichen Vorzügen, und Heilige sind auch keine vollkommenen Menschen ohne Fehler. Sie sind Menschen wie wir. Das, was sie auszeichnet, ist ihr Leben aus dem Vertrauen in Gott und ihre Verbundenheit mit Gott. Dafür sind sie uns ein Beispiel. Und weil sie mit Gott verbunden sind, können sie auch Fürsprecher sein.
Wer ist Ihr Lieblingsheiliger?
Peter Faber. Er war der erste Priester in der Gesellschaft Jesu, also bei den Jesuiten, und der, der die Exerzitien am besten verstanden und gegeben hat. Er war auch der Erste, den Papst Franziskus heiliggesprochen hat.
Die Heiligsprechung erfolgte nicht auf der Basis eines Wunders, sondern auf Basis der Verehrung durch Jahrhunderte.
Interview: Gertraud Schaller-Pressler
Zur Person
P. Dr. Anton Witwer, SJ., geb. 1948 in Vorarlberg, trat 1976 als Priester in die Gesellschaft Jesu ein. Die letzten beiden Jahrzehnte hatte er in Rom an der Generalskurie verschiedene Aufgaben inne und unterrichtete Spiritualität an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Seit 2018 ist er Superior der Jesuiten in Graz und als Seelsorger im Zentrum für Theologiestudierende und für Akademikerinnen und Akademiker tätig.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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