Gandhis 150. Geburtstag
Gewaltverzicht ist Stärke
Zu Gandhis 150. Geburtstag initiierte Dr. Reiner Steinweg ein Symposium in Linz. Wolfgang
Weilharter hat den Friedens- und Konfliktforscher dazu interviewt.
Wie würden Sie die Leistung Gandhis jemandem kurz beschreiben, der nur wenig über Gandhi weiß?
Er hat sein ganzes persönliches Leben in den Dienst an der Entwicklung politischer Gewaltfreiheit gestellt und sich selbst dabei ständig weiterentwickelt. Martin Luther King, Nelson Mandela und viele andere wären ohne Gandhis starke Impulse nicht das geworden, was sie uns heute bedeuten. Er konnte die gesellschaftliche Stellung und die Rechtslage der Inderinnen und Inder in Südafrika ganz erheblich verbessern. Und er hat verhindert, dass Indien seine Unabhängigkeit in einem blutigen Bürgerkrieg errang.
Wo sehen Sie heute eine besondere Dringlichkeit, dass Gandhis Botschaft gehört und beachtet wird?
In allen politischen Bewegungen, die sich der Erhaltung der Menschheit und der Natur widmen, also gegen den Klimawandel, für CO2-Reduktion, gegen Atomkraft (Waffen und Kraftwerke), für eine Reinigung der Weltmeere bzw. drastische Reduktion von Plastik. Besonders möchte ich aber den Spannungsabbau in der Ukraine, das friedliche Miteinander der Religionen und unterschiedlicher Kulturen sowie die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten hervorheben.
Gibt es eine Botschaft Gandhis an uns, da Gewalt in der Politik in den meisten europäischen Staaten Gott sei Dank weitgehend geächtet ist?
Ja, ein respekt- und vertrauensvoller Umgang mit dem Gegner auch dann, wenn man seine Ideologie und seine Verhaltensweisen als gefährlich einschätzt; persönliche Kontaktnahme, Kompromissbereitschaft in Nebensächlichkeiten, aber unbedingtes Festhalten an Wahrheit und Gewaltfreiheit im erweiterten Sinne Gandhis: also nicht nur Verzicht auf körperliche Gewalt, sondern auch auf Hass und Feindschaft.
Gandhi ist bekannt dafür, dass er dem Gegner ohne Gewalt begegnen wollte. Hat er an seinen Gegnern Kritik geübt?
Selbstverständlich, und zwar gründlich und oft hart – aber immer in einer menschlich-freundlichen Grundhaltung, die den anderen nicht nur be- und verurteilt, sondern ihm menschlich entgegenkommt.
In den letzten Jahren kann man eine Welle der Kritik an Gandhi beobachten – zuletzt von der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy bei ihrem Besuch in Wien. Ihm wird vorgeworfen, rassistisch und frauenfeindlich gewesen zu sein, und dass er die Anliegen der untersten Kasten in Indien ignoriert hätte. Wie beurteilen Sie diese Kritik?
Das Linzer Symposium hat viel zur Klärung dieser Fragen beigetragen. Arundhati Roy hat nur in Bezug auf die allerersten Jahre Gandhis in Südafrika, bis 1906, recht. Sie blendet seine Haltung in den darauf folgenden Jahren bis 1948 aus. Gemessen an seiner Zeit war Gandhi auch hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter sehr progressiv (zum Beispiel übergab er die Leitung des berühmten Salzmarsches nach seiner Gefangensetzung an eine Frau). Dass er dennoch bis zu einem gewissen Grad an unterschiedliche Gaben und Schwerpunkte der Geschlechter glaubte, kann erst aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Europa erkannt werden und ist mit Recht zu kritisieren. Aber Gandhi war stets selbst sein eigener schärfster Kritiker.
Stimmt es, dass Gandhis Botschaft und Praxis in Politikwissenschaft und auch in der Theologie eine relativ geringe Rolle spielen?
Das stimmt leider weitgehend. Gandhi in seiner ganzen Differenziertheit ist nach wie vor in der akademischen Welt weitgehend unbekannt.
Sie beobachten und beteiligen sich seit vielen Jahren an der Diskussion zu Gandhi. Was trug das Linzer Symposium zu dieser Diskussion bei?
Differenzierung hinsichtlich berechtigter und unberechtigter Kritik an Gandhi, Verdeutlichung von Gandhis politischem Einfluss in Südafrika und Indien und der Nachweis, dass der Verzicht auf Gewalt als „ultima ratio“, also als letztes Mittel, Stärke und nicht Schwäche bedeutet.
War Gandhi überspannt? Hat er mit seinem asketischen Lebensstil übertrieben?
Für seine Zeit und Umgebung war seine Askese wichtig: Sie hat ihn in jeder Hinsicht unerpressbar gemacht und war eine Voraussetzung für seine unerhörte Kraftentfaltung. Man muss sie nicht in allen Einzelheiten übernehmen. Aber dafür, dass wir heute angesichts der Klimabedrohung wieder lernen müssen, mit erheblich weniger auszukommen, ist sein Vorbild ermutigend und anregend, auch wenn man es nicht in der ganzen Radikalität übernehmen will.
Interview: Wolfgang Weilharter
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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