VinziDorf-Hospiz
Nicht auf der Parkbank sterben lassen
Im VinziDorf-Hospiz der Elisabethinen Graz finden schwerkranke Wohnungslose ein letztes Zuhause.
Bei uns findet ganz viel Musik statt“, erzählt die Diplomkrankenpflegerin Katja Wahrbichler. Sie leitet die Pflege im VinziDorf-Hospiz der Elisabethinen Graz. Viele Menschen tragen dazu bei, dass dieser Ort kein Abstellplatz für schwerkranke Obdachlose ist, sondern ein Zuhause. Für manche seit langem das erste und meistens auch das letzte.
Eine „lebenslimitierende“ Erkrankung, Wohnungslosigkeit und Hospizbedürftigkeit nennt die Diplomkrankenpflegerin einige Kriterien für einen Platz in dieser österreich- und wohl auch europaweit einzigartigen Einrichtung mit zwei Betten. Die meisten BewohnerInnen sind unversichert. Die Warteliste ist immer gut gefüllt. Wahrbichler könnte sich auch ein größeres Haus vorstellen. Die Kosten sind sicher ein Faktor, vermutet Stefan Magerl, Leiter der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Elisabethinen Graz, warum es in Österreich und auch darüber hinaus noch keine Nachahmer dieser Vorzeige-Einrichtung gibt. „Aber wollen wir, dass schwerkranke wohnungslose Menschen einsam und unbehandelt auf einer Parkbank sterben?“, fragt Stephanie Rovere vom Bereich Fundraising und Spendenverwaltung. Für sie entscheidet sich an Orten wie diesen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Strukturen kennenlernen
„Menschen aus Obdachlosigkeit in strenge Strukturen pressen funktioniert so nicht“, erklärt Wahrbichler. Man geht es hier langsam an. „Was heute geht, geht heute und sonst morgen“, lautet ihre Philosophie. Am Vormittag steht Körperpflege auf dem Plan. Zweimal in der Woche gibt es ärztliche Visiten. Für Notfälle sind Ärzte in Rufbereitschaft. Auf einer großen Tafel stehen die Namen der anwesenden Pflegekraft und des diensthabenden Arztes, und was sonst so los ist. Nachmittags kommen Ehrenamtliche, die mit den BewohnerInnen Zeit verbringen: Spiele spielen, reden, spazieren gehen, musizieren – was je nach Krankheit oder Tagesverfassung möglich ist.
Auch Besuche werden auf der Tafel eingetragen. Mittwoch 9 Uhr SONNTAGSBLATT steht dort in kräftigem Rot. Als wir kommen ist Herr M. da. Er spricht Ungarisch und, bedingt durch seine Erkrankung, sehr wenig. Die Reinigungskraft vom angrenzenden VinziDorf übersetzt spontan ein bisschen. Fotos dürfen wir machen, er ist einverstanden. Dann bricht er zu einem kleinen Spaziergang in der wärmenden Frühlingssonne auf. Eine Schülerin der Krankenpflege-Schule schiebt seinen Rollstuhl über das Gelände der Pfarre Graz-St. Leonhard, wo das VinziDorf-Hospiz in einem Häuschen Unterschlupf gefunden hat.
Vertrauen braucht Zeit
Möglichst wenig Krankenhaus-Atmosphäre wollte man hier erzeugen – erklärt Katja Wahrbichler als sie uns durch das Haus führt – sondern WG-Charakter. Das Herzstück ist der Aufenthaltsraum. Neben einer Küchenzeile und einem großen Esstisch gibt es auch einen Fernseher und eine kleine Couch. Ein altes Keyboard steht an der Wand. „Eine unserer Ehrenamtlichen treibt immer wieder Instrumente auf“, erzählt Wahrbichler. Die Zimmer sind einfach eingerichtet, das Wichtigste: das Pflegebett. Daneben ein Regal für die Habseligkeiten der BewohnerInnen. Die meisten haben nicht viel.
Katja Wahrbichler kennt die Unterschied zu anderen Hospizen: „Die Menschen bei uns haben meist kein soziales Netz, keine Angehörigen und Freunde oder nur ganz wenige. Da bist du als Personal ganz anders da“, beschreibt sie. „Du bist Freundin, bist Mama …“ Aber das Vertrauen muss sich erst aufbauen. Viele haben in ihrem Leben einiges durchgemacht: Missbrauch in der Kindheit, Gewalterfahrungen, psychische Erkrankungen, Sucht. Oft kommen sie auch spät und in schlechtem Zustand. Die Hürde, sich Hilfe zu holen, ist hoch.
Kleine letzte Wünsche
Auf die Frage nach einer Lieblingsgeschichte nimmt Katja Wahrbichler ein großes Buch in die Hand – das BewohnerInnen-Buch, das eine Ehrenamtliche gestaltet. Zum Beispiel der Wachkomapatient aus Wien. Nennen wir ihn Milan. Nach einem Sturz wurde dem Wohnungslosen die Schädeldecke geöffnet. Im Krankenhaus sah man keine Überlebenschance und fragte beim VinziDorf-Hospiz um Sterbebegleitung an. Nach einigen Monaten bemerkte eine Pflegerin, dass Milan auf Berührungen reagierte. Und wirklich: Er wachte aus dem Koma auf. Insgesamt war er eineinhalb Jahre im Hospiz. Eines war jedoch tragisch: „Irgendwann wiederholte er immer wieder ‚son‘ – also das englische Wort für Sohn“, erinnert sich Katja. „Da haben wir nachgeforscht, aber leider nichts erreicht“, erzählt sie. Über verschlungene Wege hat sich Milans Aufenthaltsort schließlich doch bis zu seinem Sohn in seiner Heimat herumgesprochen, aber es war zu spät: „Drei Tage nach Milans Tod hat er sich bei uns gemeldet.“
„Die letzten Wünsche sind hier sehr klein“, weiß Wahrbichler. Eine letzte Zigarette, noch einmal auf einem Berg stehen … Diese Wünsche versucht das Team rund um die leitende Diplomkrankenpflegerin nach Kräften zu verwirklichen – oft unterstützt von Ehrenamtlichen. „Eine Ehrenamtliche ist dann mit Karl und seinem Sauerstoffgerät im Gepäck in der Seilbahn auf den Schöckl gefahren.“
Ist es nicht auch schwer, frage ich Katja Wahrbichler, weil es hier „nur mehr ums Sterben geht?“ Energisch schüttelt die Diplomkrankenschwester den Kopf: „Auch wenn der Körper nicht mehr heil wird“, antwortet sie offen, „so viel anderes kann noch heilen!“
Katharina Grager
Das VinziDorf-Hospiz unterstützen:
Krankenhaus der Elisabethinen GmbH
Hospiz/Palliativ, AT85 2081 5000 4236 0834
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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