Schöpfung im Klimawandel | Teil 6
„Wir werden die Energiewende schaffen“

Richtige Mischung entscheidend: Solar- und Windenergie plus Wasserkraft und Biomasse sorgen für die Energieversorgung im Jahresverlauf.
2Bilder
  • Richtige Mischung entscheidend: Solar- und Windenergie plus Wasserkraft und Biomasse sorgen für die Energieversorgung im Jahresverlauf.
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

In einer mehrteiligen Serie widmet sich das SONNTAGSBLATT den brennenden Fragen der Schöpfungsverantwortung angesichts des Klimawandels und der Erderwärmung.

In Folge 6 zeigt sich der Raumplaner und Energieexperte Gernot Stöglehner optimistisch, dass wir mit den bereits marktreifen Technologien zügig im Umstieg auf regionale erneuerbare Energieformen voranschreiten können. Seine große Hoffnung liegt in der Erfindung neuer Technologien im Speicherbereich.

Der Energiesektor ist nicht nur aus Klimaschutzgründen gerade im Wandel. Ist Österreich auf einem guten Weg?
Gernot Stöglehner: Die Erhöhung der Energieeffizienz, Reduktion des Energieverbrauchs und Umstieg auf erneuerbare Energien sind die großen Klimaschutzziele. Wenn es um den Strom geht, sind wir mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz durchaus vernünftig unterwegs: Ungefähr 20 Prozent des derzeitigen Strombedarfs wird gegenwärtig noch aus fossiler, 80 Prozent mit erneuerbarer Energie erzeugt. Hier müssen wir erreichen, dass 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen generiert wird. Bei etlichen erneuerbaren Energieformen stehen wir vor der Herausforderung, dass der Strom nicht immer dann verfügbar ist, wenn er gebraucht wird, sondern dann, wenn z. B. der Wind weht, die Sonne scheint, ausreichend Wasser in den Flüssen vorhanden ist. Bei der Energieform Wasserkraft ist unter Klimawandelbedingungen anzunehmen, dass die Erträge sinken werden, gerade in bestimmten Jahreszeiten. Bei der Photovoltaik haben wir das Problem, dass in den Monaten Dezember, Jänner und Februar aufgrund der kürzeren Tage nur ein Bruchteil von dem Strom erzeugt wird, den die Anlagen grundsätzlich in der Lage sind zu produzieren. Die Hauptstromproduktion passiert in den Sommermonaten, in denen aber erfahrungsgemäß auch weniger Strom benötigt wird. Diese Problematik zeigt bereits, dass wir unseren Strom nicht ausschließlich aus einer einzelnen Energieform generieren können. Abhilfe würde hier eine völlig neue Speichertechnologie schaffen, die aber erst noch entwickelt werden muss. Was das Zusammenspiel von Photovoltaik und Windenergie anbelangt, ergänzen sich diese sehr oft. Das heißt, in vielen Wetterlagen ist es entweder windig, oder es scheint die Sonne. Windige Sonnentage hingegen sind sehr belastend für die Netze, vor allem dann, wenn der Strombedarf niedrig ist. Auch hier würden Speichersysteme Abhilfe schaffen. Grundsätzlich erlauben uns verschiedene Energieformen, die in einem miteinander kombiniert werden, die Energieversorgung im Jahresverlauf versorgungssicher zu gestalten.

Viele sprechen jetzt vom Allheilmittel Wasserstoff. Wo ist das sinnvoll einzusetzen?
Das Nischenprodukt Wasserstoff hat Vorteile, aber auch Nachteile. Ein Vorteil ist, dass er erneuerbar gewonnen werden kann. Der Wasserstoff, den wir bis jetzt einsetzen, kommt aus fossiler Produktion, und nur um den fossil erzeugten, in der Industrie verwendeten Wasserstoff erneuerbar herzustellen, bräuchten wir in der Größenordnung von 10 bis 15 Prozent mehr Elektrizität, als wir derzeit verwenden. Wird aus dem Wasserstoff wieder Strom gewonnen, ist der Wirkungsgrad relativ gering. Allerdings ist Wasserstoff ein Speichermedium mit einer hohen Energiedichte. Er kann saisonal eingesetzt werden, um das Winterloch der Photovol-
taik-Produktion zumindest teilweise abzudecken. Sonst wird es in erster Linie im Transportsektor – Ozeanschiffe oder Flugzeuge in der Zukunft – oder in der Industrie, Stichwort Stahlproduktion, Anwendungen geben, wo die sehr hohe Energiedichte notwendig ist, nicht aber im Haushalt oder im klassischen Kraftfahrzeug, aufgrund der relativ schlechten Wirkungsgrade.

Neben Dachflächen können sich auch landwirtschaftliche Flächen eignen, um mittels Photovoltaikanlagen Strom zu erzeugen.
Wie Photovoltaik in der Freifläche zu beurteilen ist, hängt davon ab, welche Nutzungen vorher stattgefunden haben. Es gibt Tendenzen, eher Grenzertragsböden, die für die Landwirtschaft geringe Erträge liefern, für Freiflächen-Photovoltaik heranzuziehen. Aber diese Böden ermöglichen ganz oft artenreichere Wiesen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Freiflächen-Photovoltaikanlagen zur Verbesserung der Biodiversität gestaltet werden, jedenfalls ist hier auf den Naturschutz besonderer Bedacht zu nehmen. Es besteht die Möglichkeit einer Kombination von Photovoltaikanlagen und Landwirtschaft, die sogenannte Agri-Photovoltaik. Hier sind interessante Systeme wie z. B. vertikal aufgestellte Solarzäune vorhanden. Bei Sonderkulturen, zum Beispiel im Obst- und Weinbau, die zuvor mit Hagelschutznetzen geschützt wurden, können mittlerweile Photovoltaikanlagen zum Hagelschutz eingesetzt werden.

Die Wahlfreiheit in der Energieversorgung hängt davon ab, wo und wie man wohnt.

Wie kann eine persönliche Energiewende stattfinden?
Auf drei Dinge kann man Einfluss nehmen: Strom, Heizung, Mobilität – abhängig davon, wo und wie man wohnt. In der Stadt ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Gesamtenergiebedarf niedriger ist als am Land. Dafür ist es am Land viel einfacher, auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Photovoltaik- oder Solaranlage am Dach ist wesentlich einfacher zu realisieren. In der Stadt können Sie darauf achten, Ökostrom zu beziehen. Die Wahlfreiheit ist aber auch sehr oft eingeschränkt. Wenn Sie z. B. eine Gastherme zu Hause haben, haben Sie keine Möglichkeit zum Umstieg auf eine andere Energieform. Neben der Nutzung energieeffizienter Geräte bleibt nur noch die Wahl der Raumtemperatur, um Energie zu sparen. Bezüglich Mobilität sei bemerkt: Je mehr jeder und jede zu Fuß geht, mit dem Rad fährt, desto gesünder lebt man auch. Wenn dies noch mit öffentlichem Verkehr kombiniert wird, kann die Mobilität energieeffizienter und treibhausgasschonender gestaltet werden. Bezüglich Autofahren ist derzeit das Elektrofahrzeug eine gute Option, weil im Vergleich zu einem Fahrzeug mit Verbrennermotor um mindestens zwei Drittel weniger Energie benötigt wird, inklusive aller Ladeverluste.

Wie sehen Sie die Zukunft?
Wir werden die Energiewende mit einer Mischung verschiedener Technologien schaffen. Einige davon sind schon bekannt, andere werden noch zur Marktreife gebracht oder erst erfunden werden. Nichtsdestotrotz können wir mit den bekannten und marktreifen Technologien zügig voranschreiten. Es gibt zwei Strategien, die jeder bzw. jede für sich selbst und die Gesellschaft als Ganzes mit Unterstützung des Staates forcieren muss: Energie einsparen ist immer richtig. Und erneuerbare Energien in erster Linie im Strombereich auszubauen, ist auch langfristig richtig, weil absolut absehbar ist, dass sich der Strombedarf erhöhen wird. Damit können wir nicht nur unser Klima schützen, sondern auch eine sichere, resiliente und nachhaltige Energieversorgung als Basis für eine nachhaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung aufbauen, die regional Einkommen schafft.

Ausbau der erneuerbaren Energie
Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) hat bis 2030 Ausbauziele für die Stromerzeugung aus Photovoltaik, Wind, Wasserkraft und Biomasse definiert. In §4 EAG ist festgelegt, dass Elektrizität im Ausmaß von 5 Terawattstunden (TWh) aus Wasserkraft, 10 TWh aus Wind, 11 TWh aus Photovoltaik und 1 TWh aus Biomasse zusätzlich gewonnen werden soll. 1 Terawattstunde (TWh) = 1 Milliarde Kilowattstunden (kWh)
entspricht der Stromversorgung von über 280.000 Haushalten.
Was bedeuten diese Energiemengen ausgedrückt in Wasserkraftwerken, Windrädern
oder Photovoltaik-Modulflächen?

5 TWh Wasserkraft bedeutet, dass in Österreich noch fünf Mal das Donaukraftwerk Freudenau Platz finden muss, oder dass zu den derzeit rund 4000 Kleinwasserkraftwerken bei gleicher durchschnittlicher Leistung noch einmal zirka 3300 dazukommen müssten.

10 TWh Wind heißt, dass zu den rund 1300 Windkraftanlagen in Österreich noch einmal ungefähr 800 5-Megawatt-starke Windkraftanlagen (Anlagenhöhe zirka 250 Meter) bis 2030 errichtet werden müssen.
11 TWh Photovoltaik muten hier relativ wenig an: 50 Quadratkilometer Modulfläche auf Dächern oder in etwa 110 Quadratkilometer Freiflächen-Photovoltaikanlagen würden einer derzeit für Bauland und Infrastruktur aufgewendeten Fläche von rund 5800 Quadratkilometern gegenüberstehen.

Richtige Mischung entscheidend: Solar- und Windenergie plus Wasserkraft und Biomasse sorgen für die Energieversorgung im Jahresverlauf.
Gernot Stöglehner ist Professor für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur in Wien.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ