Plädoyer für die Zukunft | Frage 6 | Interview
Wer hat die richtige Religion?

Eine Quelle speist mehrere Wasserläufe, die sich in ein gemeinsames Wasserbecken ergießen. Nach diesem Bild können die verschiedenen Religionen auf je ihre Weise die eine Welt mit dem einen Gott in Beziehung bringen.
 | Foto: Neuhold
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Wer Gott schaut, ist wach

Barbara Krenn, geboren in Judenburg, studierte in Graz und Tübingen Theologie. Seit 1999 ist sie als Religionsjournalistin im ORF tätig, ab 2010 leitende Redakteurin der Sendungen „Religionen der Welt“, „Was ich glaube“ und „FeierAbend“. Vor kurzem wurde sie zur Leiterin der ORF-Hauptabteilung „Religion und Ethik – multimedial“ bestellt.

Gibt es eine „richtige“ Religion?
Für mich als Religionsjournalistin ist „Vielfalt“ zentral. Die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Religionen, so wie sie Lessing in seiner Ringparabel formuliert, ist eine wichtige Richtschnur für unsere Arbeit. Der ORF will und soll religiös und weltanschaulich neutral sein, besagt das ORF-Gesetz.

Welche Aufgaben haben Religionen im Leben der Menschen und im Zusammenleben der Menschheitsfamilie zu erfüllen?
Religionen sollen aus meiner Sicht Menschen zu einem gelingenden, verantwortungsbewussten und angstfreien Leben in Freiheit verhelfen. Wenn die Botschaft des christlichen Glaubens beispielsweise darin besteht, dass Gott die Liebe ist, dann hat der Glaube an diesen Gott doch eine enorme Kraft, auch das Scheitern, das Versagen und die Brüche zu akzeptieren und daran nicht zugrunde zu gehen. Gesellschaftlich gesehen sollen Religionen Anwältinnen der Menschenwürde und -rechte sein, zu Friede und Versöhnung beitragen und auch auf die Begrenztheit des Menschen verweisen. Begrenztheit meint einerseits, Verantwortung für sich selbst, den anderen, die Schöpfung/die Umwelt zu übernehmen. Begrenztheit meint aber auch eine Entlastung gegenüber einem rein leistungsorientierten Menschenbild.

Nach welchen Kriterien kann Richtiges und Falsches in Religionen unterschieden werden?
Als ORF-Religionsjournalist*innen sind wir keine Richter*innen. Aber wir versuchen, unserem Publikum dennoch Orientierung am „Markt der Religionen“ zu bieten. Wir wollen jede Religion – ohne sie zu vereinnahmen – mit ihrem Ursprung konfrontieren (z.B. mit Jesus Christus) und mit dem humanen Ethos (z.B. mit den Menschenrechten). Und – weil wir uns dem kritischen Programm der Aufklärung verpflichtet fühlen – fragen wir Religionsvertreter*innen und Gläubige, wie sie es halten mit dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, mit Mitbestimmung, mit der Gleichheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau, mit dem Verhältnis von Religion und Politik, mit ihrem Verhältnis zur pluralen Gesellschaft – also zu Andersgläubigen und Nichtgläubigen.

Religionen vertreten immer einen gewissen Wahrheits- oder Absolutheitsanspruch. Wie können sie miteinander ins Gespräch kommen?
Miteinander ins Gespräch kommen ist schon der erste wichtige Schritt, meine ich, um Vertrauen aufbauen zu können. Und gegenseitiges Vertrauen scheint mir im Dialog der Religionen besonders wichtig. Im Gespräch wird man merken, dass es Gemeinsamkeiten und Differenzen gibt. An die Gemeinsamkeiten könnte man anknüpfen und Allianzen bilden. Wie man mit den Differenzen umgeht, ist wohl das Herausfordernde aber Entscheidende im Dialog mit anderen Religionen. Und da denke ich, dass es wichtig ist, die eigene Überzeugung nicht aufzugeben und dennoch offen zu sein für die Wahrheit des anderen. Im besten Fall kann man vom anderen ja auch lernen.

Viele gewaltsame Konflikte auf der Welt entladen sich entlang religiöser Grenzen. Was braucht es, damit Religionen dem Frieden dienen?
Sehr oft werden gewaltsame Konflikte im Namen einer Religion geführt, Religion wird also missbraucht. Da sind Religionsgemeinschaften aus meiner Sicht aufgefordert, sich immer wieder zu distanzieren und aufzuklären. Außerdem glaube ich, dass am Religionsdialog kein Weg vorbeiführt. Hans Küng hat einmal geschrieben: „Kein Weltfriede ohne Religionsfriede. Kein Religionsfriede ohne Religionsdialog!“ Vielleicht noch ein Drittes: Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit ist ja in vielen Religionen verankert. Meist sind es doch soziale Ungleichheiten, die Konflikte befeuern. Wenn Religionsvertreter*innen dagegen gemeinsam auftreten – das wäre doch ein wichtiges Signal, das zum Frieden beitragen könnte.

Brauchen wir heute vielleicht ein Weniger an Religion und ein Mehr an Spiritualität?
Religion, verstanden als konkreter, historisch ausgeformter Glaube, und Spiritualität bedingen einander. Spiritualität ohne bezogen zu sein auf einen konkreten Inhalt, auf ein bestimmtes Gottesbild ist beliebig und leer und Religion ohne Spiritualität ist beliebig und leer. Ich glaube also, dass beides wichtig ist. Aber ich bemerke an den Reaktionen unseres Publikums, dass es ein großes Bedürfnis nach Spiritualität – was auch immer Menschen dann damit in Verbindung bringen – gibt. Nicht nur von Menschen, die einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehören. Mir gefällt ein Zitat von Dorothee Sölle in dem Zusammenhang: „Wer den Weg der Gottesschau geht, wird wach für die Welt in der er lebt!“ Ich glaube, unsere Gesellschaft braucht viele Menschen, die wach für die Welt sind, in der sie leben.

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.
>Wollen wir noch selber denken?
>Ist Armut unfair?
>Was würdest Du morgen zurücklassen?
>Rettet Schönheit die Welt?
>Wo brauchen wir Grenzen?
>Wer hat die richtige Religion?
>Muss ich heute Angst haben?
>Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben
Barbara Krenn, geboren in Judenburg, studierte in Graz und Tübingen Theologie. Seit 1999 ist sie als Religionsjournalistin im ORF tätig, ab 2010 leitende Redakteurin der Sendungen „Religionen der Welt“, „Was ich glaube“ und „FeierAbend“. Vor kurzem wurde sie zur Leiterin der ORF-Hauptabteilung „Religion und Ethik – multimedial“ bestellt.

Eine Quelle speist mehrere Wasserläufe, die sich in ein gemeinsames Wasserbecken ergießen. Nach diesem Bild können die verschiedenen Religionen auf je ihre Weise die eine Welt mit dem einen Gott in Beziehung bringen.
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Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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