Ich glaube – Ja. Religionsunterricht im Fokus | Teil 3
Von der Selbstverständlichkeit des Zweifelns

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Der Zweifel war mir schon ein verlässlicher Begleiter, als ich noch zur Schule ging. Und er ist es heute noch. Fast immer ist er ein produktiver, manchmal ein lähmender Beistand. Ob ich zweifeln dürfe, war für mich daher auch nie eine Frage – wer sollte es mir auch verbieten?

Das Zweifeln hat für mich den Charakter des Selbstverständlichen, wie auch das Denken oder das Vertrauen. Deshalb ist der (begründete) Zweifel für mich auch kein außergewöhnlicher Modus des Denkens, der für besondere Herausforderungen reserviert ist, wie es die Worte „auch mal“ in der obigen Fragestellung nahelegen. Mit Blick auf die Schule liegt mir die Frage „Kann ich zweifeln?“ näher. Also: Bin ich imstande, Zweifel auszudrücken, begründete Einwände zu erheben, denkerische Alternativen anzubieten? Aber auch: Kann ich die Grenzen meines Zweifels einschätzen? Und wenn nicht, wie kann ich das alles lernen, und welche Bedingungsfaktoren des Religionsunterrichts sind dabei förderlich?

Für mich persönlich zählt es zum Besten des Religionsunterrichts, dass er genau dafür Freiraum bietet: Freiraum für große und kleine Fragen des Lebens, denkerische Entfaltung, das Hinterfragen von vermeintlich und tatsächlich Selbstverständlichem, das Sich-selbst-Hinterfragen, das Äußern von Ungewissheiten und Bedenken. Der Religionsunterricht bietet die Chance, anstatt Antworten auf von SchülerInnen vielleicht nie gestellte Fragen zu geben, im Gespräch zwischen SchülerInnen (und LehrerInnen) allerlei Perspektiven und Deutungshorizonte auf Fragen zu eröffnen, die spannend und drängend sind.

Zweifeln zu lernen ist ein Prozess, wie auch das Denken ein Prozess ist. Oder das Glauben. Zusammengenommen ermöglichen sie es, Potenziale und Grenzen der Gegenwart und der Zukunft wahrzunehmen und abzuwägen. Schön, dass dies im Religionsunterricht möglich ist!

Christine Rajič ist Religionspädagogin, zur Zeit forscht und lehrt sie in den Bereichen konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht und Bibeldidaktik an der KPH Wien/Krems. Sie ist mit einem Religionslehrer verheiratet.

Im Religionsunterricht wird der junge Mensch mit seinen Fragen, Sehnsüchten und Hoffnungen als ein auf Transzendenz hin offenes Wesen ernst genommen – ohne Reduktion auf zweckrationales Verhalten und gesellschaftliche Nützlichkeit.

Aus den „10 Thesen zum konfessionellen Religionsunterricht, Schulamt Graz-Seckau“
https://schulamt.graz-seckau.at/dl/KupKJKJnKNmJqx4KJK/v

ÜBRIGENS: Was ReligionslehrerInnen sagen

„Der Religionsunterricht regt dazu an, den Mainstream zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese in Worte zu fassen und sich mit anderen auszutauschen.“

„Das Entwickeln von Soft Skills, wie Danken, Hinschauen, den Mitmenschen sehen, das eigene Fragezeichen im Kopf auszuhalten usw. darf nicht pädagogischer Zufall sein. Viele meiner KollegInnen leisten diesbezüglich großartige Arbeit.“

„Der Religionsunterricht nimmt junge Menschen mit ihren Fragen, ihren Zweifeln, den Wünschen und Meinungen ernst und trägt so wesentlich zur Lebensbegleitung und Persönlichkeitsbildung bei.“

„Für mich öffnen sich im Religionsunterricht Denkräume, deren Existenz zwar bekannt ist, doch wo man im Alltag kaum dazu kommt, sie zu besuchen.“

„Der Religionsunterricht ist für den jungen Menschen oft die einzige Gelegenheit, über den Glauben – oder das Unvermögen zu glauben – zu sprechen.“

„Im RU werden die Kinder nicht vorrangig auf die Bildungsstandards hin „beschult“. Hier dürfen sie noch durchatmen und ihre Gefühle, Fragen … zum Ausdruck bringen.“

Christine Rajič
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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