Plädoyer für die Zukunft | Frage 4 | Interview
Rettet Schönheit die Welt?

Schöne Orte suchen viele Menschen im Urlaub auf. Warum aber ist uns Schönheit dort, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen, viel weniger wichtig? ZiB-Moderator Tarek Leitner plädiert in seinem Buch „Wo leben wir denn?“ dafür, glückliche Orte zu erschaffen. | Foto:  Vernazza (I) / Jokesch
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  • Schöne Orte suchen viele Menschen im Urlaub auf. Warum aber ist uns Schönheit dort, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen, viel weniger wichtig? ZiB-Moderator Tarek Leitner plädiert in seinem Buch „Wo leben wir denn?“ dafür, glückliche Orte zu erschaffen.
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Schönheit ist nicht nützlich

Tarek Leitner ist seit 2004 Moderator der "Zeit im Bild", Österreichs meistgesehener Nachrichtensendung. Der aus Linz stammende Journalist, der dreifacher Romy-Preisträger ist, interessiert sich für die Umgebungen unseres Lebens. In seinen Büchern "Mut zur Schönheit" (2012) und "Wo leben wir denn?" (2015) setzt er sich kritisch mit der Gestaltung und Verschandelung unserer Lebensräume auseinander.

Fjodor M. Dostojewski verdanken wir die Behauptung „Schönheit wird die Welt retten“. Würden Sie ihm zustimmen?
Tarek Leitner: Nein, das kann ich nicht. Es stimmt zwar, dass Dostojewski als Experte auf dem Gebiet der Schönheit gilt – andererseits, dieses Zitat stammt doch aus seinem Roman „Der Idiot“. Ich habe mich in meinem neuen Buch „Berlin – Linz“ (Anmerkung: 2020 im Brandstätter Verlag erschienen, siehe Seite 20) unter anderem Fragen der Schönheit in dunklen Zeiten gewidmet. Es geht um die Ästhetik der Reichsautobahnen der Nazis. Sie sollten wohltuenderweise nicht ausschließlich nützlich sein, sondern dezidiert auch schön. Und doch waren sie Propagandainstrument. Auch Göring hat sich mit schöner Kunst umgeben. Seither können wir gewiss sein, Schönheit wirkt nicht auf die Moral.

Wobei haben Sie zuletzt erlebt, dass Sie von Schönheit überwältigt waren?
Tarek Leitner: Ich erlebe eine solche Überwältigung immer wieder in Kirchen. Aber nicht in jenen mit dem vermeintlichen Anspruch, ganz „bei die Leut“ zu sein. Wo Korkpinnwände mit Fotos vom letzten Pfarrfest stehen, lässt einen das beim Betreten des Raumes selten „Göttlich!“ ausrufen.

Was hat dieses Erlebnis in Ihnen bewirkt?
Tarek Leitner: Lassen Sie mich das so erklären: Wer im Stephansdom gedankenversunken in die Spitzbögen blickt, kann auch als Ungläubiger Zweifel bekommen, ob nicht doch gleich ein Wunder geschieht. Wer andernorts vom kirchlichen Kristallluster in einer einsamen Fassung eine Sparlampe baumeln sieht, ist hingegen wieder sicher: Das alles hier ist doch nur allzu menschlich.

Ist Schönheit objektivierbar oder ein rein subjektives Empfinden?
Tarek Leitner: Meine – zugegeben unphilosophische – Behauptung ist folgende: Schönheit, wenn sie unsere Lebensumgebung betrifft, ist objektivierbar. Wenn wir Touristen sind, wissen wir zum größten Teil mit übereinstimmender Gewissheit, wo es schön ist und wo nicht. Aber zu Hause lassen wir uns die Schönheit viel zu oft mit Wirtschaftlichkeitsargumenten abkaufen.

Inwiefern kann die Begegnung mit etwas Schönem Menschen verändern?
Tarek Leitner: Weil die Schönheit keinen Nützlichkeitskriterien unterliegt, kann sie uns Menschen daran erinnern, dass es abseits wirtschaftlicher Argumentation andere Parameter im Leben gibt. Das halte ich für wichtiger denn je.

Ist Schönheit Luxus oder ein Grundbedürfnis des Menschen?
Tarek Leitner: Ohne Zweifel ein Grundbedürfnis. Durch die Ökonomisierung all unserer Lebensbereiche argumentieren wir aber vielfach gegenteilig. Und damit begründen wir dann beispielsweise, warum ökonomisch schwächere Menschen in hässlicheren Umgebungen leben müssen.

Ist eine schönere Welt gleichzeitig auch eine bessere Welt?
Tarek Leitner: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass eine schönere Lebensumgebung den Unbill des Alltags, etwa einen lästigen Chef, nervende Kollegen oder schlechtes Essen in der Kantine, ein Stück leichter ertragen lässt. Schönheit schafft nicht unbedingt restloses Glück, aber sie macht das Leben leichter. Vielleicht hat also Dostojewski doch ein bisserl recht.

Acht Fragen
Jubiläen zu begehen hat nur Sinn, wenn zugleich „nach vorne“ gedacht wird. So hat auch unsere Diözese anlässlich des 800-Jahr-Jubiläums 2018 in einem breiten Diskurs acht Fragen unter das Motto „Glauben wir an unsere Zukunft?“ gestellt.
>Wollen wir noch selber denken?
>Ist Armut unfair?
>Was würdest Du morgen zurücklassen?
>Rettet Schönheit die Welt?
>Wo brauchen wir Grenzen?
>Wer hat die richtige Religion?
>Muss ich heute Angst haben?
>Wie viel Macht hat eine schwache Kirche?

Die Serie wird begleitet durch die Online-Kolumne „Mitten im Leben“, in der Menschen aus ihrem Alltag im Zusammenspiel mit der jeweiligen Frage berichten. – www.katholische-kirche-steiermark.at/mittenimleben

Schöne Orte suchen viele Menschen im Urlaub auf. Warum aber ist uns Schönheit dort, wo wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen, viel weniger wichtig? ZiB-Moderator Tarek Leitner plädiert in seinem Buch „Wo leben wir denn?“ dafür, glückliche Orte zu erschaffen. | Foto:  Vernazza (I) / Jokesch
Tarek Leitner | Foto: Brandstätter Verlag
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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