Das ganze Leben leben. Bischof Kapellari | Teil 2
Es ist ruhig, das Alter, und fromm
Bischof emer. Egon Kapellari ermutigt, etwas von der Harmonie des Alters zu den Mitmenschen zu bringen.
Ich will leben“, das war der Titel eines Films, der vor Jahrzehnten im österreichischen Fernsehen gezeigt wurde. Der Film schilderte das Leben eines Ehepaares, dessen einziges Kind mit einer schweren Behinderung geboren worden war. Die Eltern hatten von dieser Behinderung vorher keine Kenntnis und taten sich offenbar damit schwer, dieses Kind wirklich anzunehmen. Es war aber ein nicht passives und auch schönes Kind, und es war im Ganzen so etwas wie ein Appell an die Eltern, die Botschaft „Ich will leben“ ohne ausdrückliche Worte, aber eindringlicher als viele Worte. Der Film zeigte, dass diese Eltern und ihr Kind miteinander immer glücklicher wurden.
Viele Menschen haben es mit ihren von Geburt an behinderten Kindern oder mit ihren im Alter behindert gewordenen Angehörigen noch viel schwerer als die junge Familie im genannten Film. Aber es gibt auch heute nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft, die sich ihrer behinderten Kinder, Enkelkinder oder Eltern und Großeltern großherzig und manchmal sogar heroisch annehmen, und ein Staat wie Österreich und nicht wenige ähnliche Staaten in Europa bilden ein soziales Netz, das trotz aller Mängel, an deren Behebung man immer wieder arbeiten muss, sehr viele Menschen aller Lebensalter auch jetzt schon trägt und vor radikaler Entfremdung schützt.
Eine Zivilgesellschaft wie die unsere ist pluraler als jemals vorher in der Geschichte Europas. Die christlichen Kirchen und Gemeinschaften tragen und beseelen aber auch hier trotz aller eigenen Umbrüche und Abbrüche das Ganze entscheidend mit, gleichviel ob bedankt oder nicht. Sie suchen und finden dabei immer wieder Allianzen mit Menschen und Gemeinschaften außerhalb der eigenen Gemeinschaft. Dies gilt auch für Österreich und für die Steiermark betreffend die helfende Zuwendung zu Menschen mit hohem Lebensalter, aber auch aller anderen Lebensalter. Unübersehbar sind in diesem Panorama z. B. das Wirken und die Institutionen der Caritas, der evangelischen Diakonie, der katholischen Ordensgemeinschaften und besonders auch des Österreichischen Roten Kreuzes.
Papst Franziskus über das Alter
„Es ist ruhig, das Alter, und fromm.“ Dieses Wort ist genommen aus einem wenig bekannten Gedicht von Friedrich Hölderlin, das er als noch junger Mann seiner Großmutter zu deren 72. Geburtstag gewidmet hat. Papst Franziskus hat dieses Wort am Beginn seines Pontifikats mehrmals und sogar in deutscher Sprache zitiert. Er wusste selbstverständlich, dass Hölderlin nach einem Zusammenbruch in der Mitte seines Lebens kein ruhiges Alter beschieden war und dass heute weltweit vielen alten Menschen ein ruhiges Alter und auch unzähligen Kindern und Jugendlichen eine glückliche Kindheit und Jugend versagt sind. Dennoch ist ein „Alter ruhig und fromm“ in Ländern wie dem unseren für viele betagte Mitmenschen und Mitchristen nicht nur ein unerreichbares Ideal, sondern eine gelebte Wirklichkeit, aus der man freilich auch rasch vertrieben werden kann.
Unsere Lebensalter werden oft mit den Jahreszeiten verglichen. Dem Nachmittag des Lebens wird dann der Herbst zugeordnet. Eines der schönsten Herbstgedichte der deutschen Literatur verdanken wir Georg Trakl, der ohne Lebensherbst, weil erst 27 Jahre alt, 1914 in einem Krakauer Kriegsspital infolge eines Drogenexzesses verzweifelt gestorben ist. Über seinen von Schönheit wie von Grauen sprechenden Texten erheben sich aber unzerstörbar schöne Verse wie dieser:
„Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.“
All das weiß auch Papst Franziskus und ermutigt Menschen, denen ein harmonisches Alter geschenkt ist, mit diesem Geschenk teilend und mitteilend umzugehen und so etwas von der eigenen Harmonie in das Leben von ihnen erreichbaren Mitmenschen zu bringen. Zu dieser Art von Christen gehöre nun auch ich im Alter von mehr als 85 Jahren, davon schon 40 Jahre als Bischof. Ich übe mich täglich ein in das dankbare Loslassen von allem Erreichten in Erwartung der letzten Begegnung mit Gott. Der Papst redet darüber wie ein schlichter Pfarrer. Für dieses Charisma auf dem Stuhl Petri sollten ihm auch seine oft kleinherzigen Kritiker von Herzen dankbar sein und ihn nach Kräften nachahmen.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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