Expedition Fastenzeit | Teil 01
Empor zum Höchsten, zum Göttlichen

Reinhold Messner im Jahr 2000 am Nanga Parbat. Die Natur verlangt Respekt vor dem Göttlichen. | Foto: Messner
  • Reinhold Messner im Jahr 2000 am Nanga Parbat. Die Natur verlangt Respekt vor dem Göttlichen.
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Herr Messner, was ist es, das Sie an Bergen besonders herausfordert?
Reinhold Messner: Der Berg ruft nicht, er sagt nicht: „Reinhold, komm da herauf!“ Ich mache mir einen Berg wichtig, ich begeistere mich für einen Berg. Ich finde eine bestimmte Linie, die ich vielleicht klettern könnte. So wird er zur Herausforderung. Natürlich bringt der Berg auch Übersicht. Wenn ich oben stehe, habe ich das Gefühl, ich kann die Welt besser überblicken. Nicht umsonst kommen die Religionen alle vom Berg herunter. Moses kommt mit den Zehn Geboten vom Berg herab. Das ist ein ganz starkes Bild. Das ist nicht zufällig, das ist, weil der Berg Übersicht gewährt

Auf einen Berg zu gehen ist für Sie keine spontane Entscheidung.
Bevor ich fortgehe, habe ich mir das Ganze schon x-mal im Traum, beim Aufwachen, beim Autofahren vorgestellt. Das ist mir sehr wichtig, ich steige nicht einfach auf einen Berg, weil ich Lust habe. Wenn ich ein großes Ziel vor Augen habe, dann ist das im Laufe von Monaten, wenn nicht Jahren entstanden, und zwar in mir drinnen.

Sie haben viele Routen erstmals gewagt. Interessiert Sie die Erfahrung anderer?
Ich habe mich in jeder Phase mit erfahrenen Leuten, mit Spezialisten, unterhalten und von ihnen Dinge gehört und abgeschaut. Ich war in keiner meiner Lebensphasen ein Spezialist. Ich bin naiv zum Klettern gekommen in einer sehr engen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Gelernt habe ich das von guten Kletterern. Ich verdanke mein Wachstum anderen Leuten, aber ich habe es immer darauf angelegt, dass ich früher oder später die Sache selber beherrsche. Ich habe in jeder Lebensphase immer auch eine Sache allein versucht, um sozusagen mich selber zu prüfen: Bin ich in der Lage, es selber zu machen? Und immer dann, wenn ich auf einem Gebiet für mich eine Perfektion erreicht hatte und merkte: Weiter komme ich nicht, da reichen mein Können und meine Erfahrung nicht –, dann bin ich umgestiegen und habe mir eine neue Tätigkeit gesucht.

Wo beginnt für Sie die Angst? – Auf 8000 Metern?
In 8000 Metern ist der Mensch in seinen Fähigkeiten, mit der Kraft und auch im Urteilen und Wollen sehr stark auf Muster reduziert. Das ist die Gefahr. Wer das nicht weiß, tappt dann in eine Situation hinein, dass er einen Fehler macht und nicht mehr he­rauskommt. Deswegen sterben meistens die Leute, die diese extremen Sachen machen, bei den ersten Touren und nicht, nachdem sie 20 gemacht haben. Da wissen sie, wie sich der Mensch da oben verhält.

Prägen Ihre Bergerfahrungen Ihr sonstiges Leben?
Ja, auch mein religiöses Leben. Ich respektiere die Natur und auch die Natur des Menschen. Wir sind ja auch Teil dieser Natur. Ich benutze das Wort Gott nicht so gerne. Ich möchte auch keine Darstellungen von Gott haben. Ich nenne es das Jenseitige – und das ist uns nicht zugänglich. Wir Menschen haben kein Instrumentarium, es zu ergreifen und zu erkennen. Wir haben nur eine oberflächliche Zugehensweise. Das akzeptiere ich als eine göttliche Dimension. Wir wissen nicht alles über uns, wir haben nur eine sehr oberflächliche Möglichkeit, in uns hineinzublicken und in die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos.

Sie hatten im letzten Jahr Ihren 65. Geburtstag. Fühlen Sie sich auf dem Abstieg vom Berg des Lebens – oder ist für Sie noch eine Höhe möglich, die es zu gewinnen gilt?
Das Alter ist eine Phase im Leben, die sehr wichtig ist, gleich wichtig wie die Jugend. Altern ist schwierig, aber ich habe rechtzeitig neue Aufgaben gefunden. Ich glaube, dass wir Menschen das Recht haben, uns so lang wie möglich einzubringen, uns auszudrücken und auch selber viel zu erleben. Aber ich muss einsehen und eingestehen, dass ich vieles nicht mehr kann. Ich kann nicht mehr höher steigen, im Gegenteil, die Berge wachsen. Es ist großartig, dass man im 65. Lebensjahr immer noch an seine Grenze gehen kann. Und mit 90 – sollte man so alt werden, gesund bleiben im Kopf, mit Herz und Nieren – da kann man auch die Grenze finden, und wenn es nur ein Spazierweg im Wald ist. Man erfährt dabei das Gleiche, wie wenn man mit 35 den Gipfel des Mount Everest erlebt.

Sie sind einer der weltbekanntesten Bergsteiger. Was bedeutet Ihnen Ruhm?
Wenn, dann möchte ich nur über Bekanntheit sprechen. Ruhm ist eine sehr schlüpfrige Angelegenheit. Bekanntheit hat Vor- und Nachteile. Wenn Sie bekannt sind, kommen Sie schneller zu Möglichkeiten. Aber Sie haben einen hohen Preis zu bezahlen. Sie sind eine Projektionsfläche für viele Menschen. Und all diese Menschen haben eine Vorstellung im Kopf, und Sie haben – ob Sie wollen oder nicht – in irgendeiner Form dieser Vorstellung zu entsprechen. Es ist gefährlich, den Everest-Gipfel erreichen zu wollen, um bekannter zu werden. Es kann so weit kommen, dass jemand den Gipfel gar nicht mehr erreichen will, aber die Außenstehenden wollen, dass man noch eins draufsetzt und noch eins draufsetzt. Und dann verliert man das Leben. Und die Kunst ist es, trotz der Bekanntheit selbstbestimmt zu bleiben. Ich bemühe mich, selbstbestimmt zu sein, respektiere aber immer das Jenseitige als eine Kraft und Tatsache, auf die ich keinen Zugriff habe. Und das ist ein absoluter Respekt vor den Gesetzen, die der Kosmos, die Natur uns setzt, die nicht durchschaut werden können. Das respektiere ich als das nicht Kontrollierbare, nicht Greifbare. Ich respektiere es als das Höchste, das Göttliche.

 INTERVIEW: MATTHÄUS FELLINGER

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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