Frauen - Leben | Teil 4
Ein offenes Ohr
Die Psychologin Mag.a Pia Hoffmann von der Frauenhelpline gegen Gewalt erzählt, was Frauen in Österreich an gewalttätigen Übergriffen erleben und wie sie durch Zuhören und im Gespräch manches erleichtern kann.
Vor der Ohrfeige ist schon so viel Gewalt passiert“, erzählt Pia Hoffmann. Sie ist Klinische-, Gesundheits- und Notfallpsychologin und arbeitet bei der Frauenhelpline gegen Gewalt, die österreichweit kostenlos unter 0800 222 555 rund um die Uhr erreichbar ist.
„Wann das Gefühl ‚Das ist jetzt Gewalt‘ aufkommt, ist sehr unterschiedlich“, erklärt die Psychologin. Manchen Frauen wird erst im Gespräch mit den BeraterInnen klar, dass da „vor der Ohrfeige“ schon viel Demütigung – verbal und körperlich – passiert ist. Manchen Gewaltbetroffenen müssen Pia Hoffmann und ihre KollegInnen es – sanft aber deutlich – bewusst machen: Das ist schon Gewalt!
Kaum Unbekannte
Meist erleben Frauen gewalttätige Übergriffe in Beziehungen oder Ehen oder von Ex-Partnern, zeigt Hoffmann auf. „Die Opfer kennen ihre Täter in der Regel.“ Auch bei nicht-familiärer Gewalt sind die Täter fast immer aus dem näheren Umfeld: Arbeit, Freundeskreis, Nachbarschaft. Von völlig fremden Tätern hört sie selten.
„Es melden sich bei weitem nicht nur betroffene Frauen selbst“, berichtet die Psychologin. Über 8500 AnruferInnen gab es im Vorjahr. Oft sind es Angehörige oder FreundInnen – „vermehrt Männer“, ergänzt sie. „Sie alle wollen nicht mehr zuschauen, sondern etwas tun.“
Wie kann man gewaltbetroffenen Frauen helfen? Wichtig: Nicht unter Druck setzen! „Manche meinen es gut, wenn sie von Gewalt in einer Beziehung hören, und reagieren empört mit ‚Das geht doch nicht, da kannst du nicht bleiben!‘“, beschreibt Hoffmann. Das kann kontraproduktiv wirken, warnt die Expertin. „Frauen, die Gewalt erlebt haben, brauchen erst einmal ein offenes Ohr. Das bekommen sie bei uns, bei der Helpline.“
Außerdem leistet die Frauenhelpline Rechtsberatung. „Wir klären auf, wann etwas eine Straftat ist und wann nicht und welche rechtlichen Schritte den Frauen offenstehen“, erklärt sie. Die Frauenhelpline bietet nur telefonische Beratung, und „wir sind auch keine therapeutische Einrichtung für längerfristige Begleitung“, konkretisiert die Psychologin. „Aber wir suchen Frauenberatungsstellen oder Gewaltschutz-Zentren vor Ort oder helfen mit Kontakten zu Frauenhäusern und ähnlichen Einrichtungen, wenn eine Frau einen Schlafplatz braucht.“
Stressfaktoren
„Viele glauben, Gewalt passiert nur den anderen und besonders nur bei Ausländern“, spricht Pia Hoffmann ein Klischee an, das ihr außerhalb der Arbeit immer wieder begegnet. „Aber die Mehrheit der Menschen, die bei uns anrufen, sind ÖsterreicherInnen, würde ich sagen.“
Nicht jeder Mann, der Gewalttäter wird, ist vom Typ her Gewalttäter, klärt sie auf. Es gibt Stressfaktoren, die Gewalt begünstigen können: „Jobverlust, Alkoholsucht oder prägende Lebensereignisse.“ Auch Demenz kann enthemmend wirken. „Wir schauen natürlich hin, was der Mann braucht und dass er Hilfe bekommt“, erzählt sie, „aber nur sehr wenige nehmen diese Hilfe auch an.“
Gewalt hinterlässt Spuren
Manche Frauen glauben, dass die Gewalt zurückgeht, die Ohrfeige nur ein Ausrutscher war. „Aber erfahrungsgemäß wird Gewalt immer mehr“, berichtet Hoffmann. „Frauen sind es leider oft noch gewohnt, viel zu dulden, aber wenn sich eine gewalttätige Person nicht in Behandlung begibt, ist keine Besserung zu erwarten.“
Auch jahrelange psychische Gewalt, wie Drohungen und permanenter Druck, kann krank machen. „Manchmal wird der Frau bei der Trennung eine psychische Erkrankung angedichtet, aber oft ist sie erst durch den Psychoterror des Partners krank geworden“, erklärt die Psychologin.
Eine perfide Täterstrategie ist das Abwälzen der Schuld auf die Frau: „Weil du das gesagt oder getan hast, musste ich so reagieren“, nehmen sich Täter aus der Verantwortung. „Und wenn Frauen das jahrelang hören, glauben sie das irgendwann“, bestätigt Hoffmann. Im Gespräch mit den Frauen hinterfragen sie und ihre KollegInnen daher vieles: „Wir fragen dann ‚Warum denken Sie das? Wer sagt das?‘, und dann merken die Frauen, dass das oft gar nicht der Wahrheit entspricht!“
Ko-Abhängigkeit
„Es gibt gewisse Gruppen von Frauen, denen man schwer aus ihrer Situation heraushelfen kann“, weiß die Psychologin aus Erfahrung. Beispielsweise ältere Frauen. „Sie sind immer zu Hause gewesen, haben eine sehr kleine Pension – zu wenig um allein zu überleben oder eine strittige Scheidung finanzieren zu können – und kennen nichts anderes als den kleinen Ort, in dem sie wohnen, und den gewalttätigen Mann.“ Und dazu kommt oft die riesige Angst, dass einem niemand glauben wird. Was Pia Hoffmann richtig wütend macht, sind Sätze wie „Nein, der Mann ist so nett, das kann gar nicht sein.“ Aber „in eine Beziehungsdynamik kann niemand hineinschauen. Diese Täter sind nach außen oft die perfekten Männer“, erklärt sie.
Besonders schwierig wird es, so Hoffmann, wenn eine der beiden oder beide pflegebedürftig sind und sich gegenseitig pflegen. „Auch wenn die Frau blau und grün geschlagen ist und die Polizei ihren Mann wegweisen würde – was macht sie dann, wenn sie auf seine Hilfe angewiesen ist? Einen Pflegeheim-Platz bekommt man erst ab einer gewissen Pflegestufe. Im Grunde bräuchten wir Frauenhäuser mit Pflegepersonal!“, gibt sie zu bedenken.
Solche Ko-Abhängigkeiten, wie Hoffmann es nennt, betreffen auch Tiere. Gerade im ländlichen Raum, wenn Menschen eine Landwirtschaft haben oder Haustiere, „dann sind die Tiere oft die einzige Freude, die die Frau noch hat“, erzählt sie. „Da ist es auch nicht leicht für sie, einfach zu gehen.“
Ressourcen suchen
„Wir raten keiner Frau zu einer Trennung. Das ist eine höchstpersönliche Entscheidung, die jede Frau frei treffen muss“, betont Pia Hoffmann. Für einige gewaltbetroffene Frauen ist eine Trennung keine Lösung, vor allem wenn es Kinder gibt. „Wir sprechen dann über Dinge, die noch gut sind, und bestärken die Frauen, dass sie nach den Kindern in den Job zurückfinden oder sich mehr vernetzen“, erzählt Hoffmann von ihrem Vorgehen.
Reden hilft
Es melden sich nicht nur Frauen, die kürzlich Gewalt erfahren haben. Manche erzählen von bruchstückhaften Erinnerungen an Gewalt, die sie vor 20 oder 30 Jahren erlebten, zum Beispiel sexueller Missbrauch in der Kindheit, „wo den Frauen im Gespräch erst manches klarer wird“, ergänzt Pia Hoffmann. Auch wenn keine rechtlichen Konsequenzen mehr möglich sind, hilft Reden: „In solchen Fällen leisten wir psychologische Hilfe und sind stabilisierend für die Frauen da.“ Solche Gespräche gehen oft mit einem „Jetzt hab ich mich ausgredt, jetzt geht,s mir besser“ gut zu Ende.
Katharina Grager
Frauenhelpline
Sie wollen darüber reden? Anonym, kostenlos und rund um die Uhr: 0800 222 555
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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