Weltanschauungsfragen | Teil 4

Der Weg zum Heil bin ICH!

Über Fluch und Segen der SelbstOptimierung.

DU bist selbst für dein Leben verantwortlich! – Das ist die Kernbotschaft aller Selbstoptimierung. Wenn wir von Selbstoptimierung sprechen, sprechen wir von einer Verbesserung der eigenen Lebenssituation, des beruflichen Fortkommens, der Gesundheit, der Beziehungen, der finanziellen Situation und anderem mehr. Die Menschen erhoffen sich dadurch ein Mehr an Glückserfahrungen und ein heileres Dasein.

Dem Bedürfnis nach Selbstoptimierung liegen zwei gesellschaftliche Trends zugrunde: der Individualismus und die starke Leistungsorientierung.
Ging es beim Individualismus ursprünglich um Fragen der Emanzipation von politischer Herrschaft, gesellschaftlicher Konvention und religiöser Autorität, so hat sich in den letzten Jahrzehnten diese Vorstellung massiv gewandelt. Aus der Möglichkeit, sich autonom in der Gesellschaft bewegen zu können, hat sich eine Verpflichtung entwickelt, für alles im Leben selbst verantwortlich sein zu können und zu müssen.
Der Begriff „Leistung“ ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Die persönlichen Leistungen des Einzelnen sind oft ausschlaggebend für seine soziale Stellung, sein Ansehen, seinen Erfolg.
Kernbereiche der Selbstoptimierung sind „Gesundheit & Körperkult“, „beruflicher Erfolg & Karriere“ und „allgemeine Lebensorientierung“. Geht es in den ersten beiden Bereichen vor allem um Themen der Leistungssteigerung und des finanziellen Erfolgs, so spielen im dritten Bereich der Lebensorientierung vor allem ein „Sich-Gut-Fühlen“ und religiös-spirituelle Komponenten eine Rolle. Das ICH steht dabei im Zentrum. Die anderen und das Lebensumfeld kommen kaum in den Blick.
Besonders problematisch wird Selbstoptimierung dann, wenn Menschen – oft unbewusst – die Verantwortung für ihre körperliche und seelische Gesundheit an andere abgeben und dem zentralen Mantra „Alles, was du wirklich willst, kannst du auch erreichen. Du musst nur die richtigen Dinge richtig tun – dann wird alles gut!“ Glauben schenken. Sie sind dann bereit, viel Geld und Zeit in ihre Optimierung zu investieren – denn was die richtigen Dinge sind und wie man sie richtig tut, das erfahren sie in Seminaren und Workshops, in den unzähligen Ratgebern in Buchform, vom Lifestyle-Coach, der esoterischen Lebensberaterin, dem Youtube-Influencer oder der Energetikerin ums Eck.
Manche glauben, jeder Mensch ist für sein Glück selbst verantwortlich. Was glaubst du?

Helmut Kirchengast

Online-Vortragsreihe
… und was glaubst du? 5. Vortrag

Dienstag, 28. Februar 2023, 19 Uhr
VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN – Menschen auf der Suche
Zum Umgang mit Verschwörungserzählungen und ihren AnhängerInnen.
Mag. Herbert Mühringer
Weltanschauungsfragen Diözese Linz, Theologe, Religionspädagoge
www.weltanschauungsfragen.at/vortragsreihe

Mein Beitrag

Mag. Helmut Kirchengast 
ist Theologe, Ombudsmann und Referent für Weltanschauungsfragen in der Diözese Graz-Seckau

• Warum sind manche Menschen für „Selbstoptimierungsangebote“ so offen? 
  In der Regel geht der Nutzung eines solchen Angebotes die Erfahrung voraus, dass im eigenen Leben etwas nicht so gut läuft, dass man unzufrieden ist mit dem Status quo. Manchmal kann auch eine richtige „Lebenskrise“ der Auslöser sein. Wenn sich das Leben mühsam und kompliziert anfühlt, ist man dankbar, wenn es jemanden gibt, der einfache Lösungen anbietet.

• Kann der Glaube an Gott einen davor schützen, in diese Falle zu tappen?
  Grundsätzlich ja. Allerdings nur, wenn man an einen Gott glaubt, der bedingungslose Liebe ist und bei dem Arme, Schwache und Kranke gleich viel wert sind wie Reiche, Starke und Gesunde. Das ist ja einer der großen blinden Flecken der Selbstoptimierung: Grenzen und Scheitern sind nicht vorgesehen – und wenn es doch vorkommt, dann ist man selber schuld.