Das Interview der Woche
Mit Herz und Stimme

- Macht Herzensstimmen hörbar: Mit Audiogerät und Mikrofon fängt Katharina Steiner auf Wunsch Stimmen ein. Zwei Stunden spricht sie mit Erwachsenen, etwa halb so lange dauern Interviews mit Kindern. Bearbeitet und am Stick (kl. Bild) gespeichert, entsteht Erinnerung, die bleibt.
- Foto: Neuhold
- hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion
Katharina Steiner dokumentiert auf Wunsch geliebte Menschen und hilft dabei, Erinnerungen wach zu halten.
Ein milder Frühlingsnachmittag in Graz. In einer kleinen Seitenstraße steigt Katharina Steiner aus dem Auto, öffnet ein Gartentor und blickt nach oben. Bevor sie an der Haustür klingelt, kontrolliert sie nochmals die Adresse, die ihr am Telefon genannt wurde. Sie läutet, und eine Dame öffnet. Graues Haar mit flottem Kurzhaarschnitt, nicht mehr ganz jung, denkt Katharina Steiner. Ein Lächeln und die Bitte hereinzutreten folgen. Mit Aufnahmegerät, Mikrofon und einem eigens für dieses Interview erstellten Fragebogen in der Tasche geht die Jüngere der Älteren hinterher und setzt sich schließlich auf die Couch im Wohnzimmer.
Sie sei schon über 80, sagt die Frau, und mache das für ihre Kinder. Da ist der Sohn, so um die vierzig, erinnert sich Katharina an das Vorgespräch am Telefon und daran, dass die Tochter seit ihrem Kleinkindalter mehrfach behindert ist und im Pflegezentrum der Barmherzigen Brüder in Kainbach lebt. „Jedes Mal, wenn ich mit ihr spazierengehe, erzähl’ ich ihr die gleichen Geschichten, singe die gleichen Lieder aus Kindertagen vor“, sagt ihr die Pensionistin. Und etwas später, nachdenklich, fügt sie hinzu: „Wenn ich einmal nicht mehr bin, soll meine Tochter all das trotzdem hören können.“
Mehr als ein Vermächtnis
Wenn Katharina Steiner das Aufnahmegerät hinhält und den „OK“-Knopf drückt, beginnen Menschen zu erzählen. Davon, wie ihr Leben ist, von Dingen, die passiert sind und von bislang unerfüllten Träumen. Zwei Stunden sind pro Aufnahme geplant, sagt die Grazerin, die seit sechs Jahren auf Bestellung aus Audios Zeitdokumente macht.
Egal, wie alt man sei oder was jemand erreicht habe im Leben oder nicht: „Jeder Mensch hat ganz viel zu erzählen“, sagt sie. „Auch, wenn man das in einem ersten Schritt oft selbst nicht glaubt.“ So etwa habe ein älterer Herr, dessen Kinder Tonaufnahmen von ihm haben wollten, vor dem gemeinsamen Interview Katharina Steiner zu verstehen gegeben, dass er nicht viel zu sagen hätte. „Mein Leben war eher unspektakulär, da ist nicht allzu viel Spannendes passiert“, meint er. Dass gerade er es war, den sie nach zweieinhalb Stunden Erzählen stoppen musste, verwundert die Erwachsenenbildnerin längst nicht mehr. „Ich glaube, es ist einfacher, jemandem, den man nicht kennt, von seinem Leben zu erzählen. Man ist viel unbefangener. Umgekehrt kann ich auch freier fragen, weil ich ja keine Geschichte mit diesem Menschen habe“, sagt sie.
Erinnerung an Kindheitstage
Auf jede Ton-Aufnahme, auf jedes Interview und auf ein erstes Telefonat bereitet sich Katharina Steiner vor. Die Motive, aufgrund derer man sie kontaktiert, sind unterschiedlich. Es gäbe Eltern, die den Status der Entwicklung ihres Kindes festhalten wollen und alle paar Jahre Aufnahmen ihres Sprösslings machen lassen würden, um diesen im Erwachsenenalter zu beschenken – etwa zur Hochzeit. Andere wiederum möchten, am Lebensende angekommen, ein stimmliches Vermächtnis hinterlassen und erzählen von Dingen, die sie noch weitergeben wollen. Sie selbst habe vor der Geburt des zweiten Kindes Tonaufnahmen zu machen begonnen, erzählt Katharina Steiner. „Ich habe meine Erstgeborene interviewt, und sie hat erzählt, was sie gerade interessiert und was sie über die Schwester denkt, die bald geboren wird.“
Aus ihrer Kindheit erzählen würden viele, sagt Katharina Steiner. Bei einem älteren Herrn sei im Interview die Zeit in Spanien präsent gewesen, erzählt sie. In den Dreißigerjahren sei er dorthin zum „Aufpäppeln“ gebracht worden. Als er, wenige Jahre vor seinem Tod, am Dachboden die Briefe fand, die er als Neunjähriger vom Ausland an seine Eltern in der Heimat schrieb, holte die Erinnerung ihn ein. Mit Tränen in den Augen habe er die Sehnsucht eines Kindes ins Mikrofon gesprochen.
Geliebte Großmutter
Während die Gründe, warum Menschen Tonaufnahmen von sich oder anderen machen lassen, verschieden sind, so ist ein Gedanke dahinter stets derselbe: Das, was einen Menschen ausmacht, will festgehalten werden. „Stimme als solche kann ohne Hören nie ganz erfasst werden“, sagt Katharina Steiner. „Du kannst sie zwar beschreiben, aber die Art und Weise, wie jemand spricht, wie lange die Pausen sind, die er oder sie beim Reden macht, ob jemand schmatzt oder wie schnell man spricht“ – all das müsse man eben hören. Nicht zuletzt, um sich damit weitere Erinnerungen versatzstückartig ins Gedächtnis holen zu können. „Bei mir war es die Tonaufnahme meiner Großmutter“, sagt Katharina Steiner und erzählt, wie eine verschollene Audioaufnahme ihrem Leben eine Wendung gab.
Die Grazerin ist 39, als sie an einem Herbstabend bei sich daheim eine CD einlegt. Ein Onkel hatte zuvor das Gerät wiedergefunden, mit dem er vor über 30 Jahren Tonaufnahmen seiner Mutter gemacht hatte, kurz vor deren Tod. Jahrzehnte später lässt er die Analogaufnahme digitalisieren und schenkt auch Katharina eine CD.
Als ihre Oma stirbt, ist Katharina neun. Als sie das nächste Mal die Stimme der geliebten Großmutter hört, fast 40. „Plötzlich waren alle Bilder wieder im Kopf“, sagt sie. „Die schönen, runzeligen, gütigen Hände“, aber auch das Gefühl, wie es gewesen ist, von Oma in den Arm genommen zu werden. „Es hat mich total getroffen“, sagt Katharina Steiner und will fortan auch anderen Menschen Emotionen wie diese zugänglich machen. Nach Jahren der Vorbereitung setzt sie ihr Vorhaben in die Tat um und macht sich 2019 selbstständig. Dass bei Herzensstimme mittlerweile mehr Männer als Frauen anfragen um Interview und Datenstick, wertet die Grazerin positiv.

- hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion
Stimmen hören und empfinden
Glaubt man der Wissenschaft, ist das Gehör der letzte Sinn, der aktiv ist, bevor man geht. Dass eine Stimme hörbar bleibt, ermöglichen technische Geräte und Menschen, die sie nachhaltig für andere bewahren.
Am Abend nach ihrem Hausbesuch hört Katharina Steiner ihr Interview noch einmal nach, macht sich Notizen und beginnt, die Audiodatei zu schneiden. Ob die Gespräche derer, die sie porträtiert habe, Gemeinsamkeiten aufweisen würden? Sie nickt. Interessanterweise hätten noch alle rückblickend ihr eigenes Leben für gut befunden – zumindest im Gespräch mit ihr. „Es gab die Höhen und die Tiefen“, habe sie in Interviews oft gehört. „Doch so ist nun mal das Leben. Es ist meines, und es ist gut so, wie es ist.“
Katharina Steiner
geb. 1976 in Graz, stud. Erziehungs- und Bildungswissenschaften mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Beschäftigt bei der Caritas der Diözese Graz-Seckau. Im Rahmen ihrer Kultur-Agentur veranstaltete sie 20 Jahre lang österreichweit Konzerte und Kabaretts. 2019 gründete sie Herzensstimme, ihr Unternehmen für einzigartige Tondokumente.
◉ Näheres: www.herzensstimme.net
Kontakt: Tel. 0676 52 149 52
Text und Interview: Anna Maria Steiner


Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare