Konzert-Reihe
Mit Musik an neuen Realitäten bauen
Herr Huetter, wie geht es Ihnen damit, dass wegen des Krieges im Nahen Osten alle Sounding-Jerusalem-Konzerte heuer in Österreich stattfinden müssen? Welche Botschaft möchten Sie mit den Konzerten aussenden?
Erich Oskar Huetter: Das künstlerisch Spannende ist für mich die musikalische Befassung mit Jerusalem. Diese Befassung kann ich in Jerusalem leben, in Graz, in Wien … es gibt kaum einen Ort auf der Welt, der sich nicht mit Jerusalem verbunden fühlt. Der Blickwinkel verändert sich naturgemäß ein wenig, die Zusammensetzung der KünstlerInnen, die Antworten des Publikums. Die Konzerte in Österreich durchzuführen, ist für mich aber genauso fordernd, lohnend, begeisternd. Und ich denke, auch für das Publikum.
Ich vermisse Jerusalem unglaublich. Diese Stadt ist zu einem zweiten emotionalen und künstlerischen Zuhause geworden. Der Grund dafür, nicht vor Ort spielen zu können, ist, dass Krieg herrscht. Dass Menschen leiden. Dass Hoffnung vernichtet wird. Damit geht es mir furchtbar. Selbstverständlich kann ich diese Gefühle nicht ausblenden, wenn ich Musik mache. Ich bin seit über 20 Jahren in der Region aktiv und habe alle Entwicklungen miterlebt. Jede Einzelne hat Einfluss auf das Festival genommen, vor allem aber auch auf mich als Künstler, als Person. Das ist aber auch einer der zentralen Gründe, warum ich Sounding Jerusalem mache – ich möchte musikalisch mit den Menschen in dieser Stadt verbunden bleiben, in guten wie in schlechten Zeiten. Denn das, wofür Sounding Jerusalem steht, ist Hoffnung. Und Hoffnung brauchen wir alle wie einen Bissen Brot. Hoffnung auf neue Chancen für ein friedliches Leben in der Region. Manchmal ist Musik für die Seele einfach eine Auszeit von der Realität, und manchmal wird in der Musik mit den Herzen an neuen Realitäten gebaut.
Herr Ochodlo, was treibt Sie an mit Ihrer Musik jiddische Poesie in Erinnerung zu halten?
André Ochodlo: In unserem Agniesztka-Osiecka-ATELIER-Theater in Sopot, direkt am Meer, finden jährlich im Sommer die INTERNATIONALEN BEGEGNUNGEN MIT DER JÜDISCHEN KULTUR statt. Vor etlichen Jahren besuchte uns die wunderbare Künstlerin Jenny Kirshenberg aus Haifa. Sie wurde vor dem Krieg in Danzig geboren und ihre Familie verließ bei den ersten braunen Anzeichen die Stadt und baute den Staat Israel mit auf. Nach einem Konzert von mir wartete Jenny im Foyer des Theaters, zutiefst gerührt und mit Tränen in den Augen. Sie sagte: "Ich kam nach Danzig, um Bernstein zu suchen und fand Gold". Diese Worte verwandelten sich in eine Art von Lebensmotto für mich. Als ich Jenny in Haifa besuchte, schenkte sie mir die gesammelten Gedichte von Itzig Manger, wir bereisten Israel und wurden unter anderem von Moshe Landau, dem Richter beim Eichmann-Prozess, der auch in Danzig geboren war, empfangen. Ein sehr prägendes Erlebnis für mich! …Zurück zu Hause verschlang ich die Poesie von Manger und entdeckte einen bis dahin für mich unbekannten Bestandteil der Weltpoesie, ja des Weltkulturerbes. Ich bat die Krakauer Komponistin Ewa Kornecka ausgewählte Gedichte für mich zu vertonen und brachte das Programm MY BLUE 2001 zum 100. Geburtstag des Poeten zur Premiere. Zuerst mit Orchester und dann mit den wunderbaren Jazz-Freunden von Adam Zuchowski und wir gingen gemeinsam auf Tournee… Mit Adam schufen wir dann die YIDDISHLAND-Collection, die u. a. 120 Neue Jiddische Lieder, speziell für mich hier in Polen komponiert, enthält. Gerade entsteht die Box, der Schober, indem die 12 CD-Alben Platz finden. Dazu gaben wir ein wunderschönes Songbook heraus. Was treibt mich an? Die Poeten, die toten Poeten treiben mich an. Ich gebe ihnen eine Stimme, hauche ihren Worten neues Leben ein und ich bereichere damit mein eigenes Leben und das Leben vieler Menschen, hoffentlich auch am 8.12. in Graz!
Erleben Sie Antisemitismus im Zusammenhang mit ihrer Kunst?
Ochodlo: Seit den 90iger Jahren konzertiere ich von Moskau bis Los Angeles, von Stockholm bis Tel Aviv und noch nie habe ich diesbezüglich Erfahrungen machen müssen. Deshalb war es auch ein relativ einschneidendes Erlebnis, vor einem Jahr, nach dem Hamas-Überfall auf Israel, in Deutschland unter Polizeischutz zu singen. Es braucht „Stimmen für den Frieden“!
Herr Abado, Was für eine Rolle spielt für Sie die Musik in der Verständigung zwischen Völkern und unterschiedlichen Kulturen?
Marwan Abado: Für Jemand, der seine Kindheit und Jugend mitten im Krieg verbrachte, war Musik für mich eine wichtige Brücke nach „außen“. Eine Brücke zur Freiheit. Diese Erfahrung hat mich bereits in meinen jungen Jahren geprägt und stimmte mich ein, stets neugierig zu sein. Hinzu kommt das Wesen der Musik: Zuhören und Verstehen. So habe ich Musik erfahren und gelernt.
Hat der Krieg im Nahen Osten etwas in Ihrem Leben und Kunstschaffen verändert?
Abado: Bei dieser Frage möchte ich gerne die irakische Dichterin Dunya Mikhail zitieren: „Einzig und allein arbeitet der Krieg effizient“. Der Krieg im Nahen Osten begleitet mich schon vor meiner Geburt. Schon der Krieg von 1948 veränderte das Leben meiner Eltern, die zur Folge aus ihrer Heimat vertrieben wurden, und mir eine Geburt als Flüchtling auf dieser Welt bescherte. Ein späterer Krieg in den 1980er Jahren brachte mich nach Österreich … Rückblickend kann ich sagen, dass Kriege meine Sehnsucht nach einem Leben in Würde, Freiheit und Frieden stets nährte. In meiner Musik versuche ich diese Sehnsucht auf kreative Art und Weise zum Ausdruck zu bringen.
Was bedeutet es Ihnen Teil der Konzertreihe von Sounding Jerusalem zu sein?
Abado: Meine Teilnahme an Sounding Jerusalem ist ein Andocken an einer jahrzehntelangen Geschichte dieser Stadt, die von Pluralität, Vielfalt und miteinander geprägt war. In der Kulturen, Traditionen, Sprachen und
Religionen neben und miteinander gelebt haben und sich gegenseitig bereichert haben. Eine Geschichte die es wieder zu entdecken sich lohnt.
Ochodlo: Ich bin sehr dankbar über die Einladung nach Graz und freue mich, dass wir Teil der Sounding-Jerusalem-Familie sind. Es ist auch ein Wiedersehen mit guten Freunden und Kollegen, großartigen Musikern: Vor zwei Jahren konzertierten wir mit Erich Oskar Hütter, Stefan Heckel, Chen Zimbalista und Marwan Abado gemeinsam im legendären Klub PORGY&BESS in Wien; davor gab es gemeinsame Konzerte in Sopot. Unvergesslich. Und jetzt wollen wir gemeinsam unsere Stimmen für den Frieden erklingen lassen, in Graz bei Sounding Jerusalem!
Interview: Katharina Grager
◉ Sounding-Jerusalem-Konzerte: Chansons Yiddish, 8. 12., 18 Uhr, mit André Ochodlo u. a.
Weitere Termine und nähere Informationen finden Sie hier: Sounding Jerusalem
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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