Mutworte - Ruth Zenkert
Wie ein Wildesel

Foto: privat

Still war es abends in unserem kleinen Hof. Ich hatte noch zu tun, die Volontäre waren in ihren Zimmern verschwunden. Die Ecke mit dem großen Tisch war zu einem Abstellplatz geworden. Selten setzte sich dort jemand hin. Das änderte sich, als Moise zu uns kam. Er hatte sein Leben auf der Straße verbracht, war zwischendurch bei uns gewesen, hatte es aber nie lange ausgehalten. Ein Haus mit Regeln war ihm zu eng. Als er wieder einmal ganz unten war, nahmen wir ihn ein weiteres Mal auf. Jetzt war wieder Leben im Hof, die Sitzecke lag vor Moises Zimmer. An die Wände hängte er selbstgemalte Bilder, auf dem Tisch stand ein Aschenbecher und eine Tasse Kaffee. Das Schild „Café Moise“ gab dem Ort den Namen.

Ismael wird ein Mensch sein wie ein Wildesel; so lautete die Verheißung für den Sohn, den Abram mit der Mutter wegschicken musste. Er überlebte in der Wüste, und seine Nachkommen wurden zu einem starken Volk. Moise ist für mich wie der Wildesel: „Seine Hand auf allen, die Hand aller auf ihm!“ (Gen 16,12) Wenn Moise da ist, dreht sich alles um ihn. Er bestimmt das Gebet, die Sitzplätze beim Essen ... Es gibt immer Überraschungen – aber dann ist er wieder weg und fehlt sehr im Haus.

Ruth Zenkert ist Leiterin des Sozialprojektes Elijah in Rumänien.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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