Offen gesagt - Pierre Payer
Die offene Tür zeigen
Warum campiert ein obdachloser Mann seit Wochen auf dem Grazer Hauptplatz?
Die einfache Antwort ist: weil er es so will. Das wissen alle, die mit ihm sprechen – Passanten ebenso wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kältetelefons in Graz, die regelmäßig angerufen werden. Der Mann ist im Netzwerk derer, die sich in Graz um obdachlose Menschen kümmern, bekannt. Er hatte bereits einmal in einer Caritas-Notschlafstelle gelebt. Alle Versuche, ihn zu überreden, wieder in eine Unterkunft mitzukommen, sind bislang gescheitert.
Die komplexere Antwort ist: Wir müssen den Wunsch dieses Menschen respektieren, auch wenn es uns schwerfällt und wenn es unserem Bild von Menschenwürde oder auch nur Ordnung widerspricht, dass sich jemand für diese Form des Daseins entscheidet. Er ist friedlich und belästigt oder gefährdet niemanden. Für ihn ist die Situation ganz offensichtlich zumindest im Moment kein Problem.
Als Caritas nehmen wir hier unsere Aufgabe wahr, indem wir ihm gemeinsam mit den anderen Institutionen des Grazer Sozial-Netzwerks, von der Sozialarbeit der Stadt bis zu Hilfsorganisationen, auch mit Hilfe von Dolmetschern, täglich die offene Tür zeigen. Aber den Schritt durch diese offene Tür muss er selbst tun, und wir werden froh sein, wenn er so weit ist. Bis dahin müssen wir es aushalten, dass er Hilfe nicht so annehmen kann, wie wir das gerne hätten.
Pierre Payer ist Leiter der niederschwelligen stationären Wohnversorgung der Caritas Steiermark
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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