Erste Hilfe für die Seele | Teil 07
Was hab ich verbrochen?

Einheitsbrei. Fernsehschauen, nachdenken, traurig sein. Für Josefa ist jeder Tag gleich. | Foto: Waldhäusl
  • Einheitsbrei. Fernsehschauen, nachdenken, traurig sein. Für Josefa ist jeder Tag gleich.
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Der Fernsehapparat im Wohnzimmer läuft laut. Josefa, 68, sitzt davor, ihre Mischlingshündin liegt daneben. Deutsche Privatsender sorgen für die Nachmittagsgestaltung. Heute tut sich viel. Ümit hat Stress mit seiner Freundin. „Mitten im Leben“ nennt sich das Sendungsformat. Eine Stunde später schlagen die Schulermittler Alarm, weil die Handtasche einer Schülerin geklaut wurde. Die Fernsehdarsteller zeigen sich bemüht, für Unterhaltung zu sorgen. Josefa erreichen sie damit nicht. 
„Der Fernseher rennt zwar, aber ich komm nicht weg vom Denken. Am liebsten wär ich schon draußen bei ihm“, sagt Josefa. Mit „ihm“ meint sie ihren vor zwei Jahren verstorbenen Mann, mit „draußen“ den Friedhof.

Vagabunden bleiben
Zweimal ist Josefa verheiratet gewesen. Zuletzt sehr glücklich. „Die Guten müssen fort, und die Vagabunden bleiben über“, glaubt Josefa. Und denkt dabei auch an ihren ersten Mann. 13 Jahre dauerte ihre erste Ehe. Erinnerungen an Schläge und Krankenhausaufenthalte sind ihr geblieben. „Das war ein richtiger Halunke“, das Geld habe er ihr weggenommen, es versoffen und sich mit anderen Frauen herumgetrieben.

Das lenkt ab
Aber Josefa erschien das nicht ungewöhnlich. Vom Glück hatte sie nur von Erzählungen gehört. Ihre Kindheit beschreibt sie als trostlos. Ihren Vater lernte sie nie kennen. Er hat die Familie noch vor ihrer Geburt verlassen. „Meistens war ich auf dem Feld arbeiten.“ Hauptsächlich an Erdäpfel kann sich Josefa erinnern. Ans Ernten. Ans Schälen. Ans Kochen. Und daran, dass wenig Geld da war. Krankenschwester wäre sie gerne geworden. Es sollte beim Wunsch bleiben. Später fand sie eine Anstellung in einer Fabrik, wo sie auch ihren ersten Mann kennen lernte.
Deswegen steht ihr heute eine Rente zu. Aus 28 Jahren am Fließband, in der Küche oder von Hifsdiensten. 900 Euro kommen pro Monat zusammen. Die Witwenpension ihres zweiten Mannes schon eingerechnet. Geschichten aus dem Leben anderer, die der Fernseher in ihr Wohnzimmer spielt, sind zur Realität geworden für Josefa. Auch wenn vieles nur Fiktion ist. „Es lenkt mich ein bisserl ab.“

Kein Besuch

Den Vormittag über verbringt Josefa vor der Flimmerkiste, den Nachmittag auch. In der Früh würde sie gerne baden. Geht aber nicht. Ihre Füße sind lädiert, sie hat Angst, das Gleichgewicht zu verlieren. Frühstücken tut sie gerne. Ihre hohen Blutzuckerwerte hindern sie aber an so ziemlich allem, was schmeckt. Auch den Haushalt würde sie gerne selbst schupfen. Zwei Operationen an der Schulter und ihr kaputter Rücken lassen das aber nicht zu. Meistens liegt sie schon um acht Uhr im Bett. Vorhänge aufhängen und Fenster putzen geht nicht mehr. Im Grunde ist es auch egal, glaubt Josefa. Das Haus muss nicht in Schuss gebracht werden. Zu Besuch kommt sowieso niemand mehr. Ihr jüngster Sohn, der im Nachbarort lebt, erbarmt sich zwar regelmäßig, bei acht Kindern trotzdem kein guter Schnitt. Allein ihre Nachbarin wird positiv erwähnt. Eine Ausländerin. „Wenn sie mich einen Tag nicht im Garten sieht, schaut sie vorbei. Einmalig, die Frau“, sagt Josefa. Dann denkt sie an die vielen nicht Gekommenen: „Ich denk mir, was hab ich nur verbrochen, dass mich keiner anschaut.“
Viele Enkelkinder hätte sie zwar. Josefa glaubt aber, dass die nicht kommen, weil es von der Oma kein Geld gibt.

Angst vor Muttertag
900 Euro im Monat lassen sie nicht weit springen. Jeder Euro wird dreimal umgedreht. An Samstagen holt sie sich Lebensmittel von der Rotkreuz-Tafel. Dort sei es gratis. 150 Euro kostet im Monat schon der Strom. Josefa ist das viel vorgekommen. Daher waren Herren vom Stromanbieter im Haus. „Die Kühltruhe und der Kühlschrank, die fressen viel Strom, ham’s gsagt. Die müssen weg“, erzählt Josefa. Die Kühltruhe ist aber wichtig für Josefa. „Wenn einmal kein Geld übrig ist, stech ich einfach ein Viech ab, und das frier ich dann ein.“ Ansonsten hat Josefa Tiere gern. Fast lieber als Menschen. Von Menschen sei sie meist nur enttäuscht worden.
Am meisten fürchte sie Feste wie Weihnachten, Geburtstage oder Muttertag. Da werde ihr die Einsamkeit so schmerzhaft vor Augen geführt. „Bis auf zwei meiner Kinder gratuliert mir niemand.“ Glücklich ist Josefa nur mehr, wenn die Kleintierausstellung im Bezirk Halt macht. Dann lässt sie sich vom Taxi hinbringen. Die Hasen haben es ihr angetan, dort will sie immer als erstes hin.

Tiere und Menschen
Letztens war wieder Kleintierschau. Josefa war dort. Beim Rausgehen wurde ihr schwarz vor den Augen. Dann ist sie gelegen. Blut hat gespritzt, die Rippe war gebrochen, das Gesicht blau. Ihre Mischlingshündin hat Hilfe gerufen. Seitdem weicht sie nicht mehr von Josefas Seite. „Sogar aufs Klo geht sie mir nach.“ Ob Tiere die besseren Menschen seien, weiß Josefa nicht. „Sie ist jedenfalls die Einzige, die merkt, wenn ich einsam bin.“

Gerald Gossmann

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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