Die Bergpredigt | Teil 3
Von der überfließenden Gerechtigkeit Gottes
Von Jesus, dem Erzähler, dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und einer besonderen Art von Gerechtigkeit, die typisch ist für die Bergpredigt.
Jesus war ein begnadeter Erzähler. Besonders seine Gleichnisse bringen mit ihren oft irritierenden und überraschenden Wendungen Bewegung in allzu festgefahrene Denkmuster.
So stellt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) herkömmliche Vorstellungen von „gerecht“ und „ungerecht“ in Frage. Geschickt baut es bei seinen Hörerinnen und Hörern zunächst eine bestimmte Erwartungshaltung auf: Die immer neue Einstellung von Arbeitern zu unterschiedlichen Zeiten des Tages und die Zusage des Gutsherrn „Ich werde euch geben, was recht ist“ (Mt 20,4) weckt die Annahme, dass die zuerst Eingestellten einen proportional höheren Lohn erhalten werden als die zuletzt Eingestellten. Schließlich entspräche eine leistungsorientierte Entlohnung nach dem Motto „Jedem das Seine“ einer gängigen Vorstellung von Gerechtigkeit. Diese Erwartung wird jedoch durchbrochen: Der Gutsherr zahlt am Ende des Tages allen Arbeitern den gleichen Lohn aus – zum begreiflichen Unmut derer, die den ganzen Tag über gearbeitet haben. Ist das gerecht?
Das Gleichnis illustriert damit ein matthäisches Kernthema, das gerade auch in der Bergpredigt entfaltet wird: der spannungsvolle Zusammenhang von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes.
Zorngericht und Liebe, Strafe und Vergebung, die Gerechtigkeit Gottes und seine alles menschliche Maß übersteigende Barmherzigkeit gehen schon im Alten Testament immer wieder Hand in Hand. Was vordergründig vielleicht widersprüchlich erscheint, ist doch aufs engste miteinander verbunden.
„Gerechtigkeit ist ein Beziehungsbegriff, der solidarisches Füreinander einschließt.“
So vereint das hebräische Wort chaesaed (= Gnade, Güte, Huld) nicht nur die liebende Zuwendung Gottes, sondern auch sein gerechtes, nämlich bundestreues Verhalten. Gerechtigkeit ist nicht auf gesetzeskonformes Handeln beschränkt, sondern ein Beziehungsbegriff, der solidarisches Füreinander einschließt.
Keine kalte Gerechtigkeit
Diese Art von Gerechtigkeit ist es, die in der Bergpredigt zu einem wesentlichen Maßstab menschlichen Verhaltens erhoben wird: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit überfließt, mehr als die der Pharisäer und Schriftgelehrten, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20). Die in den sogenannten „Antithesen“ (Mt 5,21–48) geforderte Über-Erfüllung der Gebote konkretisiert, was mit „überfließender Gerechtigkeit“ gemeint ist.
Das ist keine auf Leistung und Gegenleistung basierende, kalte Gerechtigkeit, in der jeder bloß das bekäme, was er „verdient“. Die „überfließende“ Gerechtigkeit ist korrigiert bzw. ergänzt um den Aspekt der Solidarität und Barmherzigkeit. Sie erschöpft sich nicht in einer Haltung, sondern wird im Handeln konkret. Weil sie Maß nimmt an der bedingungslos geschenkten und stets versöhnungsbereiten Barmherzigkeit Gottes, lässt die „überfließende“ Gerechtigkeit auch denen, die erst später zur Arbeit im Weinberg eingesetzt werden, das Gleiche zukommen: nicht bloß das „verdiente“, sondern das volle Heil.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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