Serie zur Sozialenzyklika "Fratelli tutti" | Teil 01
Vom Traum einer geschwisterlichen Welt

Mit beiden Beinen fest in der Luft? Warum man das vom Papst mit seiner Vision von einer geschwisterlichen Welt nicht behaupten kann, dem geht unsere neue Artikelserie nach. | Foto: Sandner
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  • Mit beiden Beinen fest in der Luft? Warum man das vom Papst mit seiner Vision von einer geschwisterlichen Welt nicht behaupten kann, dem geht unsere neue Artikelserie nach.
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Die Würde jedes Menschen nimmt Papst Franziskus zum Ausgangspunkt seiner Sozialenzyklika.

Wenn du jung bist, verbietet dir alles der Pfarrer, wenn du alt bist, der Doktor!“ So hieß es früher spaßhaft, wenn es darum ging, wie kirchliches Reden wahrgenommen wurde: als einschränkend, verbietend, aber doch vielleicht auch notwendig wie das des Arztes.
Heute dagegen wird kirchliches Reden oft gar nicht mehr wahrgenommen – und wenn, verbieten lässt man sich sowieso nichts! Kirchliches Reden bildet so oft eine Variation von Geräusch, ein unbestimmtes, meist nicht klar zuordenbares Reden. „Die müssen ja auch etwas sagen!“ Und was sie sagen müssen, das scheint für viele erwartbar. Daher scheint päpstliches Reden oft so gar nicht in unsere Zeit passend.

Dem stellt sich der Papst in der am Festtag des heiligen Franziskus veröffentlichten Sozialenzyklika „Fratelli tutti, Brüder alle“ entgegen. Aber ist der Weg, den er mit seiner Feststellung nimmt, dass alle Brüder und Schwestern sind und unsere Gesellschaft auf der Liebe zu allen Menschen aufbauen soll, überhaupt begehbar? Dies wendet sich so sehr gegen die Prinzipien, nach denen unsere Welt abläuft. Steht der Papst also mit beiden Beinen fest in der Luft? Brüder alle, ja gut, aber wenn schon, dann nach dem rüden Motto: „Willst du nicht mein Bruder sein, dann hau ich dir den Schädel ein!“ Der Papst stellt sich dieser Haltung mit dem heiligen Franz entgegen, der seine Brüder aufforderte, dass keiner seinen Standpunkt verleugne und dass sie „weder zanken noch streiten, sondern um Gottes Willen jeder Kreatur untertan sind“, wenn sie zu den Ungläubigen gehen. (3)

Der Ausgangspunkt seines Rundschreibens ist der Traum einer geschwisterlichen Welt, der nicht beim Hergebrachten ansetzt, sondern bei dem, was sein könnte, wenn wir unser Christsein in Geschwisterlichkeit durchbuchstabieren. Damit will der Papst die Schleife oft nur nachbessernder Behandlung von Symptomen durchbrechen und zu einem Gestalten unter neuem Vorzeichen durchdringen. „Wenn einer meint, dass es nur um ein besseres Funktionieren dessen geht, was wir schon gemacht haben, oder dass die einzige Botschaft darin besteht, die bereits vorhandenen Systeme und Regeln zu verbessern, dann ist er auf dem Holzweg.“ (7)
Im Evangelium vom heurigen 18. Oktober fiel das bekannte Wort: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört.“ Das sagt Jesus mit dem Hinweis auf das Bild des Kaisers, das die Münze ziert, mit der die Steuer bezahlt wird. Welche ist nun die Münze, die das Bild Gottes ziert? Nach einem unbekannten Verfasser einer Homilie zu dieser Stelle aus dem Matthäusevangelium ist der Mensch die „Münze“, die mit dem Bild Gottes geprägt ist. „Der Kaiser hat sein Bild auf jeder Münze gefordert, doch Gott hat den Menschen gewählt, den er erschaffen hat, um seine Herrlichkeit widerzuspiegeln.“ Von dieser Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes in der Würde jedes Menschen nimmt der Papst seinen Ausgangspunkt für den Traum einer neuen Welt – eine Zu-Mut-ung, die Hoffnung machen kann.

Aus der Enzyklika zitiert

(8)
"Ich habe den großen Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes Menschen anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken. Bei allen: »Dies ist ein schönes Geheimnis, das es ermöglicht, zu träumen und das Leben zu einem schönen Abenteuer zu machen. Niemand kann auf sich allein gestellt das Leben meistern […]. Es braucht eine Gemeinschaft, die uns unterstützt, die uns hilft und in der wir uns gegenseitig helfen, nach vorne zu schauen. Wie wichtig ist es, gemeinsam zu träumen! […] Allein steht man in der Gefahr der Illusion, die einen etwas sehen lässt, das gar nicht da ist; zusammen jedoch entwickelt man Träume« (Ansprache beim ökumenischen und interreligiösen Treffen mit den Jugendlichen, Skopje, Nordmazedonien, 7. Mai 2019). Träumen wir als eine einzige Menschheit, als Weggefährten vom gleichen menschlichen Fleisch, als Kinder der gleichen Erde, die uns alle beherbergt, jeder mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jeder mit seiner eigenen Stimme, alles Geschwister.“

Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Franziskus.

Mit beiden Beinen fest in der Luft? Warum man das vom Papst mit seiner Vision von einer geschwisterlichen Welt nicht behaupten kann, dem geht unsere neue Artikelserie nach. | Foto: Sandner
Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Franziskus.  | Foto: Gerd Neuhold
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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