Weltanschauungsfragen | Teil 11
Verborgene Mission
Wie religiöse Gemeinschaften auf unerwarteten Wegen Mitglieder rekrutieren
Stellen Sie sich vor, Sie gehen durch die Stadt und eine freundliche, junge Person, vielleicht mit asiatischem Hintergrund, spricht Sie an. Sie bittet um Unterstützung bei einer Umfrage oder einem Referat zu einem religiösen Thema. Im Laufe des netten Gesprächs werden Sie zu einem Bibelkreis eingeladen.
Vielleicht sind Sie auf Facebook oder einem religiösen Telegram-Kanal unterwegs und stoßen dort auf ein nettes Bild, das Sie dazu einlädt, zu einem anderen Kanal zu wechseln. Auf den ersten Blick erscheint dieses neue Angebot genau richtig für Sie: Sie sehen Rosenkränze und Marienbilder, es gibt viele Aussagen über Jesus und Bibelstellen. Doch wenn Sie dieser Person oder Gruppe weiter folgen, werden Sie bald eingeladen, online an Treffen teilzunehmen und vielleicht auch zu Veranstaltungen vor Ort. Im Internet gibt es viele solcher Gruppen und Anbieter. Manche sprechen gezielt gläubige Katholiken an. Aber nicht alle geben ihre Identität preis.
Zwei prominente Beispiele dafür sind die südkoreanische Neureligion „Shincheonji“ und die „Kirche des Allmächtigen Gottes“ aus China. Sie bauen auf biblischen Fundamenten auf und sind überzeugt, dass wir in der Endzeit leben. Bei Shincheonji präsentiert sich der Gründer Man Hee Lee als wiedergekommener Johannes der Täufer. Er behauptet, der „Pastor der Endzeit“ zu sein, der das Volk Gottes auf das zweite Kommen Jesu vorbereitet. Die Mitglieder glauben, dass nur sie die wahre Bedeutung der Bibel verstehen, da Man Hee Lee den Schlüssel zur Bibel hat. Daher laden sie dazu ein, bei ihnen Bibelkurse zu besuchen.
Die „Kirche des Allmächtigen Gottes“ verehrt hingegen eine Frau als den wiedergeborenen Christus, als „Almighty God“. Die Gruppe betont, dass nur ihre Lehren die vollständige und fehlerlose Wahrheit darstellen, die zur Reinigung und Errettung nötig ist. Die Mitglieder bauen ein Vertrauensverhältnis zu Mitmenschen auf, bevor sie beginnen für die eigene Gruppe zu werben.
Obwohl Shincheonji vor allem durch persönliche Ansprache und die Kirche des Allmächtigen Gottes über das Internet wirbt, haben beide Gemeinschaften Gemeinsamkeiten. Sie lehren, dass wir in der Endzeit leben und in der Welt ein Kampf zwischen Gott und Satan herrscht. Da nur sie auf der Seite Gottes stehen soll man sich ihrer Gemeinschaft anschließen und sich von Leuten, die nicht dazugehören fernhalten. Deshalb fordern sie von ihren Mitgliedern, möglichst viel Zeit bei Veranstaltungen und in der Gruppe zu verbringen. Sie sollen den Kontakt zu Verwandten und Freunden reduzieren und in der frei gewordenen Zeit lernen und für die Gruppe werben und missionieren. Wer Kritik äußert oder die Gruppe verlassen möchte, dem wird gesagt, dass er oder sie auf ewig verloren ist. Sich aus solchen Gruppen zu lösen, ist sehr schwer.
JOHANNES SINABELL
MEIN BEITRAG
Johannes Sinabell ist Theologe und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen.
Warum haben Sie gerade diese beiden Gruppen als Beispiele gewählt?
Beide wenden sich gezielt an gläubige Personen. Sie nehmen keine Rücksicht darauf, ob jemand schon in einer christlichen Gemeinschaft zuhause ist, sondern betreiben mit unlauteren Methoden Abwerbung. So gehen Gläubige nicht miteinander um.
Welche Menschen sind besonders für solche Angebote ansprechbar?
Sowohl Shincheonji als auch die Kirche des Allmächtigen Gottes wenden sich vor allem an Personen, die einsam sind und Gemeinschaft suchen. Die Gruppenmitglieder sind sehr freundlich und viele fühlen sich gleich wohl dort. Allerdings wird ein großer Druck aufgebaut, nur für die Gruppe und die Mission zu leben. Neubekehrte werden überwacht und Missionserfolge überprüft. Ein Vorgehen, dass psychischer und spiritueller Gewalt Tür und Tor öffnet, und deshalb äußerst problematisch ist.
Referat bzw. Fachstelle für Weltanschauungsfragen
Jede Diözese verfügt über ein Referat bzw. eine Fachstelle für Weltanschauungsfragen.
Infos finden Sie unter: www.weltanschauungsfragen.at
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.