Kirche und Sexualität | Teil 01
Sexualmoral in Diskussion

Diesmal allerdings unter erschwerenden Bedingungen. Der massenhafte sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester und Ordensleute wirft einmal mehr ein schiefes Licht auf den Umgang der Kirche mit der Sexualität.

Als katholische Kirche können wir nicht umhin, uns intensiv mit den Ursachen auseinander zu setzen, die dazu führen konnten, dass in vielen Ortskirchen sexueller Missbrauch in solchem Ausmaß stattfinden und fast systematisch vertuscht werden konnte. Wir können nicht umhin, uns zu fragen, ob und warum der Zölibat für Menschen mit pädophilen Neigungen anziehend wirkt: Weil sie glauben, dadurch ihre sexuelle Neigung, die sie in der Regel an sich ablehnen, bezwingen oder verdrängen zu können? Oder mag in manchen Fällen die relative Straffreiheit, die die Kirche geboten hat, zu wenig abschreckend gewirkt haben?
Eine Versetzung an einen anderen Wirkungsort ist ja eine leicht zu verschmerzende Konsequenz dieses schweren Vergehens. Auch wenn zwischen Zölibat und Kindesmissbrauch kein ursächlicher Zusammenhang nachweisbar ist, ist dennoch zu fragen, ob der Zölibat nicht zu oft unter das Motto gestellt wurde: Geglückte Sexualität ist deren Verhinderung.

Offene Diskussion wäre notwendig

Wie sind Priesteramtskandidaten heute darauf vorzubereiten, im Zölibat sexuell enthaltsam zu leben, ohne ihre Sexualität zu verdrängen, sondern sie in ihre Persönlichkeit zu integrieren? Diese Frage stellt sich umso dringlicher, weil bislang seitens des Lehramtes eine offene Diskussion der Frage des Pflichtzölibats nicht zugelassen wird, obwohl dieses kein Dogma, sondern eine kirchenrechtliche Norm ist.
Schließlich werden wir als Kirche auch nicht umhin können, kritisch zu hinterfragen, wieso die wesentlichen Inhalte der kirchlichen Sexualmoral bei den meisten Menschen nicht mehr ankommen. Das vor allem bei jungen Menschen weit verbreitete (Vor-)Urteil, die Kirche sei sowieso unheilbar leib- und sexualfeindlich, braucht gar nicht erst bemüht zu werden, auch wenn die meisten Menschen der jüngeren Generation kaum mehr einen leib- und sexualfeindlichen Katechismus erlebt haben.

Warum aber wirkt dieser so stark nach? Warum kommt bei den Menschen nicht an, dass spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der theologisch-ethischen Reflexion wesentliche Akzentverschiebungen stattgefunden haben und dass es das Anliegen der Kirche ist, einen aufbauenden, persönlichkeits- und lebensorientierten Beitrag zu einem geglückten, zur Liebe befreiten Leben zu bieten? Liegt es nur an Kommunikationsproblemen oder an der Art der Vermittlung durch das römische Lehramt? Gibt es auch inhaltliche Gründe? Handelt es sich nur um ein Problem der Kirche, dass die enorme Kraft und Faszination dessen, was sich aus dem christlichen Glauben für den Umgang mit der Sexualität erschließt, nicht wahrgenommen wird? Meistens wird ja das, was die Kirche zur Sexualität zu sagen hat, auf das Pille- und Kondomverbot reduziert.


Naturrechtstradition

In der Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung kommt einer der beiden Eckpunkte der traditionellen katholischen Sexualmoral zum Ausdruck: Jeder Geschlechtsakt muss für die Zeugung eines Kindes offen sein bzw. darf sie nicht gezielt verneinen. Der Hintergrund ist die Naturrechtstradition, derzufolge die Sexualität naturgemäß auf Zeugung von Nachkommen hingeordnet ist. Daran ändert auch eine personalistische Sichtweise nichts, die in der Offenheit für die Zeugung den Ausdruck personaler Ganzhingabe an den Partner bzw. die Partnerin sieht. Sexuelle Handlungen, die die Fortpflanzung ausschließen, werden als sittlich unerlaubt abgelehnt.

Alles wird in einen Topf geworfen

Der zweite Eckpunkt ist der, dass allein die Ehe als legitimer Ort ausgeübter Sexualität anerkannt wird. Sexuelle Aktivitäten außerhalb der Ehe werden undifferenziert gleichgestellt und verurteilt, so dass von Masturbation bis Prostitution, von vorehelichem Geschlechtsverkehr bis wahlloser Promiskuität alles in einen Topf geworfen wird.
Erschwerend kommt die Tradition hinzu, wonach es im Bereich des 6. Gebots keine Geringfügigkeit gebe, sondern nur schwerwiegende Materie, also objektiv schwere Schuld.
Tut man der Kirche mit dem Vorwurf unrecht, dass sie über Generationen hinweg vielen Menschen ein ungestörtes, lustvolles Verhältnis zu ihrem Körper und zu ihrer Sexualität vergällt habe, so dass Ehepaare selbst in der Ehe die Geschlechtsgemeinschaft nicht ohne schlechtes Gewissen genießen konnten? Oder dass es, umgekehrt, ein hausgemachtes Problem sei, wenn die Menschen, die ihre Sexualität ungezwungen und lustvoll leben wollen, sich von der Kirche abwenden, so dass diese die Chance verspielt hat, in diesem so wichtigen Bereich menschlichen Lebens gehört zu werden?

Differenzierte theologisch-ethische Sicht

Die Serie, die mit diesem Beitrag eröffnet wird und die ich aus Verantwortung als Moraltheologe und aus Liebe zur Kirche schreibe, will versuchen, eine differenzierte theologisch-ethische Sicht von Sexualität zu vermitteln, neuere moraltheologische Ansätze vorzustellen und zugleich die bleibend gültigen Aspekte der kirchlichen Sexualmoral aufzuzeigen.
Ausgangspunkt soll dabei der Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils sein, die Moraltheologie reicher aus der Lehre der Schrift zu nähren sowie den Dialog mit den Natur- und Humanwissenschaften zu suchen, deren Eigenständigkeit anzuerkennen ist. Der Blick in die Tradition soll verstehen helfen, wo leibfeindliche Tendenzen ihre Wurzeln haben und wie sie für die gesamte Lehre der Kirche wirkmächtig geworden sind.
Schließlich soll gefragt werden, ob und wie es möglich ist, die Sexualmoral der Kirche theologisch-ethisch so zu entfalten, dass sie ein positiver, lebensnaher und fruchtbarer Beitrag für die Menschen unserer Zeit sein kann.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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