Kirche und Sexualität | Teil 09
Sexualität in der Theologie des Leibes
Nach der biblischen Anthropologie kann der Mensch nur als Leib-Seele-Einheit verstanden werden. Die Leiblichkeit ist wesentlich für die personale Identität.
Gegenüber einem Leib-Seele-Dualismus bedeutet dies eine enorme Aufwertung und Wertschätzung des Körpers. Im Lauf der Geschichte wurde der menschliche Körper sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die Neuzeit etwa ist durch ihre Vernunftzentriertheit geprägt: "Ich denke, also bin ich." Der Körper spielt hier für die Konstitution der Identität der Person keine wesentliche Rolle. Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert fand allerdings eine entscheidende Bewegung statt: Nachdem schrittweise die Vernunft, die Wissenschaft und der technische Fortschritt als sinnstiftende Institutionen in Frage gestellt worden sind, wurde dem Körper immer mehr Bedeutung zugeschrieben.
Identität ist an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft angesiedelt
Im heutigen Kontext, der geprägt ist durch die Aufsplitterung der personalen Identität in unterschiedliche Rollen und wandelbare Identitätszuschreibungen sowie durch die Brüchigkeit sozialer Netzwerke und häufig wechselnde Beziehungen, gewinnt aufgrund der raum-zeitlichen Kontinuität der leiblichen und sinnenhaften Selbst- und Welt-erfahrung der Bezug zum eigenen Körper eine neue, identitätsstiftende Rolle. Identität ist an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft angesiedelt, also genau dort, wo ein Mensch seinen Körper als Medium des Selbst- und Fremdbezugs vorfindet. Deshalb gewinnt die Arbeit am und mit dem eigenen Körper eine entscheidende Bedeutung für die heutige Identitätsfindung.
Körperkult
Der Körper wird zum Objekt nicht nur der Selbstdarstellung, sondern auch der Selbstverbesserung und Selbstproduktion. Es entwickelt sich ein Körperkult, der quasi-religiöse Dimensionen annimmt. Die Beschäftigung mit dem Körper wird zu einem der vordergründigen Lebensinhalte. Darin spiegeln sich die Bedürfnisse nach Gesundheit, Ganzheit, Schönheit, Heil wider. Ein schöner, gesunder Körper zeugt von Vitalität, Kraft, Lebensfreude. Und er wird zum Gradmesser für soziale Anerkennung und Prestige. Jugendlichkeit, Schönheit und Fitness werden Zielmerkmale gelingenden Lebens.
Wo die Suche bzw. Bestätigung der eigenen Identität und des eigenen Selbstwertgefühls jedoch auf den Körper reduziert wird, gewinnt dieser eine Bedeutung, die ihm nicht zukommt. Er wird vom Medium zum allein Bedingenden und zur Projektionsfläche jener Ideale, die den Menschen als ganzen ausmachen. Der Zwang zur Perfektion zwingt viele zu einem schmerzhaften, oft zwanghaften und süchtigen Suchen. Den sozialen Normen von Schönheit sowie den eigenen Erwartungen entsprechen zu müssen übt einen ungemeinen Druck aus. Dahinter steckt die gewaltige Macht des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung. Wo diese aber ausschließlich über den Körper gesucht bzw. gewährt wird, führt dies zu krankmachenden Dynamismen.
Befreiender christlicher Glaube
Der christliche Glaube setzt hier kritisch und befreiend an: Kritisch, weil er einmahnt, dass kein Mensch auf seinen Körper reduziert werden darf, sondern dass dies vielmehr eine Verletzung der Menschenwürde darstellt. Der Körper findet erst als Leib, d.h. als Kommunikations- und Ausdrucksmedium des ganzen Menschen mit seiner Würde und seinen inneren und geistlichen Werten, die eigentliche Bedeutung. Befreiend ist der christliche Glaube, weil er den Druck nimmt, im Körperlich-Materiellen, also im Vergänglichen, Irdischen und Hinfälligen das Heil zu finden.
Drei Grunddimensionen
Was bedeutet dies für das Verständnis des Körpers? Der Körper ist Medium der Kommunikation und der Beziehung zu sich selbst und zu den anderen Menschen. Er darf nicht nur auf die äußerliche oder rein materielle Dimension verkürzt werden. Er ist mehr als ein materielles Substrat, und so "hat" ein Mensch nicht seinen Körper, sondern er "ist Leib". Zur Leiblichkeit gehören drei Grunddimensionen:
❖ Die Geschlechtlichkeit: Sie dient biologisch dem Eingehen und der Festigung von Beziehungen sowie der Fortpflanzung. Sie versucht also, die Einsamkeit des Individuums zu überwinden, aber auch dem eigenen Tod zu trotzen, indem Nachkommen das Leben geschenkt wird, die einen überdauern.
❖ Die Sinnenbezogenheit: All unser Erkennen, aber auch unser Fühlen und Wollen geht zunächst über die Sinne, zu denen auch die Erfahrung von Lust und Freude gehört.
❖ Die Geschichtlichkeit: Bei aller Umwandlung und Veränderung, die ein Körper erfährt, bleibt er doch auch jenes Kontinuum im Lebenslauf eines Menschen, durch das jemand in Beziehung steht zu sich und den Mitmenschen. Der Körper als Leib, die Sexualität inbegriffen, ist Medium der Selbstverwirklichung und der Kommunikation. Der Umgang mit dem eigenen Körper, der nicht perfekt ist und der altert, spiegelt die Selbstannahme wider mit der eigenen Unvollkommenheit (den Idealen nicht entsprechen zu müssen) und Endlichkeit (das Heil nicht im Körperlichen zu suchen). Für die Sexualität als Grunddimension des Leibes bedeutet dies, dass in ihr das Heil nicht gefunden werden kann. Von einer heil-losen Überforderung der Sexualität und vom menschenverachtenden Diktat eines je ausgefeilteren und technisierteren "sexuellen Hochleistungssports" als Weg zum erfüllten Glück dürfen wir uns getrost verabschieden.
Heil kann auch durch die Sexualität erfahren werden
Zugleich aber hebt die theologische Bedeutung der Leiblichkeit hervor, dass Heil auch durch die Sexualität erfahren werden kann, wo sie personaler Ausdruck und leibliche Kommunikation von Liebe und gegenseitiger Hingabe ist. Den Menschen gibt es nur leiblich: als Mann oder Frau. Der körperliche Geschlechtsunterschied ist dem Menschsein wesenhaft eingeschrieben. Als "Mann und Frau", die erotische Anziehung zwischen den Geschlechtern inbegriffen, ist der Mensch Abbild und Ebenbild Gottes, seines innersten Wesens von Beziehung, Liebe und Fruchtbarkeit. So wird der Leib samt der Geschlechtlichkeit zum sinnenhaften Spiegel der Schönheit Gottes, zum leibhaftigen Lob des Schöpfers, zu einer "heiligen Wohnung". Deshalb ermahnt Paulus: "Hütet euch vor der Unzucht! … Wer Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?" (1 Kor 6,18-19)
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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