Anstoß - Fastentraining mit dem Sonntagsblatt | Teil 05
Oma geht zum Training

Sitzball ist vor allem für Amputierte ein guter Teamsport mit eigenen Regeln. | Foto: privat, KIZ
  • Sitzball ist vor allem für Amputierte ein guter Teamsport mit eigenen Regeln.
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Wie war das nach dem Unfall, bei dem Sie als junges Mädchen Ihren Fuß verloren?
Christine Taschl: Die erste Zeit war die härteste meines Lebens. Da wusste ich ja noch nicht, was das Leben bringen würde. Ich konnte es einfach nicht verstehen, noch dazu, wo ich 15 war. Es gab einen Priester in unserer Familie, einen Großonkel, der mich sehr getröstet hat. Damals hat er mir eine kleine Bibel geschenkt, die ich seither immer in meiner Handtasche bei mir trage.

Was hat Ihnen geholfen?
Am ersten Tag bei meinem Rehabilitationsaufenthalt in der Steiermark traf ich einen Mann, der keine Hände hatte. Da begriff ich, wie gut es mir eigentlich geht. Ich habe dann eine Lehre begonnen, war aber innerlich sehr zurückgezogen. Schließlich habe ich geheiratet, und wir haben drei Kinder bekommen. Dann begannen Sie mit dem Sport. Ich war schon vor dem Unfall sportlich. In St. Pölten gab es die Versehrtensportgruppe. Nach dem jüngsten Kind habe ich mich gemeldet – und ich bin in die Sitzball-Mannschaft gekommen. Zeitweise war ich die einzige Frau dort. Es gibt dort einen Mann, dem beide Beine fehlten. „Ich weinte, weil ich keine Beine hatte“, erzählte er mir, „bis ich einen traf, der keine Hände hatte.“ Er hatte dieselbe Erfahrung gemacht wie ich.

Was bringt Ihnen der Sport?
Das Unterwegs-Sein ist für mich etwas sehr Schönes. Es gibt in Österreich acht Mannschaften, doch auch nach Deutschland, in die Schweiz und nach Südtirol reisen wir zu Turnieren. Der Sport ist für das Selbstwertgefühl von Amputierten sehr wichtig. Deshalb setze ich mich auch als Funktionärin dafür ein. Und der Mannschafts-Sport zwingt zur Disziplin. Da gehst du zum Training auch dann, wenn es dich einmal nicht so freut. Der Sport tut mir nicht nur körperlich gut, er bringt vor allem Austausch mit Freunden.

Ist Versehrtensport anders?
Es gibt unterschiedliche Erwartungen. Die einen wollen unbedingt gewinnen, für andere ist das Dabeisein schon das Ziel. Dann gibt es bei uns genauso Leute, die einfach nicht verlieren können. Auch Rivalität gibt es bei uns. Die Beeinträchtigungen der Spieler/innen sind sehr unterschiedlich. Mir ist es wichtig, dass auch diejenigen, die schlechtere Voraussetzungen mitbringen, zum Einsatz kommen.

Haben Sie auch schon die Erfahrung machen müssen, dass Sie nur Ersatz sind?

Das kann auch bei uns vorkommen, dass man auf ein Turnier fährt und nicht zum Einsatz kommt. Das kratzt ganz schön am Ego. Der Mannschaftsführer stellt das Team auf. Ich kann nicht verstehen, wenn auch im Versehrtensport Spieler von einem anderen Verein abgeworben werden: Beim anderen Verein fehlen sie dann, und im eigenen Team bleiben Leute, die auch spielen möchten, auf der Ersatzbank. Meine Philosophie ist da anders. Sie spielen vor Publikum. In größeren Städten interessieren sich nicht allzu viele für unseren Sport. Aber hier in Hofstetten tut die Gemeinde viel für uns. Hier haben wir ein Turnier organisiert – und hier gibt es auch Publikum.

Was bedeuten Ihnen Glaube und Religion?
Das ist für mich ein ganz wichtiger Bereich. Für unsere Eltern waren die Tradition und das Ritual ganz wichtig. Auf unserer religiösen Suche sind mein Mann und ich einmal nach Indien gereist. Doch ein Weiser hat uns nach Hause geschickt. „Lebt euren Glauben“, hat er uns aufgetragen. Ich verstehe unter Glauben kein Traditions-Christentum. Ich bin immer auf der Suche: Worum geht es in meinem Leben? Auf diese Frage müssen wir alle selbst die Antwort finden. Ich habe einen Freund, der mit 50 starb. Vor seinem Tod habe ich ihn begleitet. Da hadere ich immer noch.

Wie geht Ihre Familie mit Ihrer Sportlaufbahn um?
Mein Lebenspartner Leo hat mich immer mitgetragen und durch die Krisen durchgetragen. Es ist ein Glück, wenn man jemanden an seiner Seite hat. Für meine Kinder und jetzt auch Enkelkinder ist eine Prothese eine selbstverständliche Sache. „Oma ist beim Sitzball-Training“, sagt mein Enkerl, wenn ich in St. Pölten beim Training bin.

Was möchten Sie als Versehrtensportlerin anderen Menschen mitgeben?

Ich wünsche mir, dass man uns vor allem als Menschen, nicht als Behinderte sieht. Auf Äußerlichkeiten kommt es nicht an. Wer du als Mensch bist, zählt. Meine Erfahrung ist: Es gibt nichts im Leben, das nicht bewältigbar wäre. Nach meinem Unfall ist in mir mit der Zeit das Vertrauen gewachsen: Es geht weiter. Ein Schicksalsschlag kann motivieren. Viele Menschen erleben heute sehr viel, sie bleiben aber an der Oberfläche. Alles muss schnell gehen. Durch meine Behinderung wurde ich zur Langsamkeit gezwungen. Das ist eine wertvolle Erfahrung.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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