Einander anvertraut | Teil 1
Man gibt sich das Leben nicht selbst …
Wir brauchen eine Assistenz zum Leben, aber keine Hilfestellung zur Selbsttötung.
Anfang und Ende des menschlichen Lebens sind ausgezeichnete Momente. Unabhängig von einer religiösen Dimension machen sie uns bewusst, dass wir uns das Leben nicht selbst gegeben haben.
Zudem sind wir als Christen überzeugt, dass uns Gott mit dem Leben auch die Freiheit gab. Nicht als Marionetten, sondern als freie Menschen haben wir den Auftrag, Verantwortung zu übernehmen und Sorge zu tragen – für uns selbst, für unsere Nächsten, für das Wohlergehen der gesamten Menschheitsfamilie und für das „Haus“ der Schöpfung. Die Gebote Gottes sind Wegweisungen zu einem Leben in größerer Achtsamkeit und Wertschätzung. Eines davon lautet unmissverständlich: „Du sollst nicht töten!“. Es ist weltweit in verschiedensten Rechtsordnungen rezipiert und bietet eine fundamentale Orientierung.
Assistenz zum Leben
Die Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, das bisherige Verbot der Hilfe zur Selbsttötung aufzuheben, ist als Entscheidung eines Höchstgerichts zu respektieren, gutheißen muss man sie aber nicht.
Es zeigt sich nämlich deutlich eine Werteverschiebung, die gravierende Folgen für unsere solidarische Verantwortung nach sich zieht. Wenn wir zukünftig zwischen einem „guten“ und „schlechten“ Suizid zu unterscheiden haben, ist der bislang gültige Konsens aufgehoben, dass jeder Suizid eine menschliche Tragödie ist. Sollte es nicht unser gemeinsames Anliegen sein, den Selbstwert des Menschen in jeder Phase seines Lebens hochzuhalten, statt ihn einer – vielleicht sogar selbst auferlegten – Leistungslogik zu opfern?
Wenn Menschen Todeswünsche äußern, so meinen sie in den allermeisten Fällen nicht, dass sie nicht mehr leben wollen, sondern dass sie „so“ nicht mehr leben wollen.
In dieser präzisen Unterscheidung liegt der Auftrag, dem wir als Gesellschaft gemeinsam verpflichtet sind. Im Wesentlichen geht es darum, menschliche Nähe zu schenken, Schmerzen zu lindern und eine tatsächliche Autonomie zu gewährleisten. Wir müssen Einsamkeit bekämpfen und auch Angehörige in dieser herausfordernden Situation entlasten. Es geht darum, Todeswünsche ernst zu nehmen und trotzdem innerhalb schwieriger Umstände ein Mindestmaß an Lebens-Zuversicht zu vermitteln. All das ist Teil einer notwendigen Begleitung für ein tatsächlich „menschenwürdiges Sterben“. Was es also wirklich braucht, ist eine Assistenz zum Leben, aber keine Hilfestellung zur Selbsttötung.
Wir brauchen einander!
In Lebenskrisen, bei großer Leiderfahrung oder angesichts eines greifbar werdenden Todes zeigen sich die Grenzen der Selbstbestimmung. Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten in jedem Moment vollständig und unabhängig über uns selbst bestimmen. Wie auch der Verfassungsgerichtshof einräumt, lehrt uns die Erfahrung anderes: Wir brauchen einander!
Der Mensch ist ein soziales Wesen, immer abhängig und empfänglich für die Erwartungen und Wertzuschreibungen der ihn umgebenden Menschen. Diese Abhängigkeit prägt alle Entscheidungen, bewusst oder unbewusst. Ebenso sind wir vom Eintritt ins Leben bis hinein in die letzte Lebensphase auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen, auf ihr Wohlwollen und ihre Zuwendung. Dies anzunehmen befreit vor Überheblichkeit und macht uns demütiger und dankbarer.
Österreich hat schon bisher versucht, eine generationenübergreifende Solidarität praktisch zu ermöglichen und den Bedürfnissen der Menschen gerade am Lebensende zu begegnen. Durch die Förderung der Palliativ- und Hospizversorgung und die Unterstützung pflegender Angehöriger, unter anderem durch die Familienhospizkarenz, wurden wesentliche Akzente gesetzt.
Klar ist aber auch, dass die bisherigen Mittel dazu längst nicht ausreichen. Der flächendeckende Ausbau einer Palliativ- und Hospizversorgung, die allen bis ans Lebensende zur Verfügung steht, muss sichergestellt werden. Weiters sollte das Hospiz- und Palliativ-Care-Basiswissen in die Grundausbildung von Gesundheits- und Betreuungsberufen implementiert werden. Ebenso dringend notwendig sind der Ausbau der psychosozialen Begleitung für Krisensituationen und ein Schulterschluss gegen die „Epidemie der Einsamkeit“.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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