Ich mit mir. Fastenserie mit Melanie Wolfers | 06
Kein Zwang zum Glück
Mein Freund, der Staatsanwalt, ist ein Geschenk des Himmels. Sein Lächeln ersetzt mir den Whisky. Es ist ein fast unmerkliches Lächeln, das den Partner von vielem Getue erlöst, und es lässt ihn sein. Wie rar ist solches Lächeln! Nur wo einer selbst einmal geweint hat und sich selbst zugibt, dass er geweint hat, erblüht so ein gutes, in seinem Wissen sehr präzises … Lächeln.“[/p]
Dies notiert Stiller, der Protagonist des gleichnamigen Romans von Max Frisch, in seinen Haftaufzeichnungen. Als Jugendliche habe ich das Buch gelesen, und seitdem hat mich die Beschreibung nicht mehr losgelassen: ein Lächeln, dem man seine geweinten Tränen ansieht. Eine Heiterkeit, in der Lachen und Weinen, Singen und Klagen Platz haben.
Diese Heiterkeit hat es schwer in einer Gesellschaft, der es um möglichst viel Spaß und Genuss geht.
Glück wird gleichgesetzt mit ununterbrochen „positiven“ Emotionen und angenehmen Erfahrungen. Und man meint, dies bewerkstelligen zu können. Doch das ist eine Märchenerzählung ersten Ranges! Vor allem aber übt die Annahme, dass Glück herstellbar sei, einen ungemeinen Druck aus. Denn wo es die Freiheit gibt, das eigene Glück zu suchen, da entsteht der Zwang, es gefälligst auch zu finden.
Die Erwartung, dass das Leben aus Spaß besteht, lässt daher alle, die sich unglücklich fühlen, gleich dreifach leiden: Erstens sind sie unglücklich. Zweitens müssen sie sich Vorwürfe anhören, dass sie sich nicht genügend für ihr Glück anstrengen. Und drittens tendieren viele dazu, sich selbstkritisch zu beäugen, denn: „Alle anderen sind glücklich, nur ich nicht! Was mache ich bloß falsch?“
Es klingt paradox, trifft aber zu: Viele wären glücklicher, wenn sie auch mal unglücklich sein dürften. Die Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein, bedeutet, dass auch die dunklen Empfindungen und Gedanken zu ihrem Recht kommen dürfen.
Ich mit mir im Gespräch
Es gibt gute Gründe, traurig zu sein! So zeigt ein realistischer Blick die Unausweichlichkeit des Leidens. Vieles, was unglücklich macht, bricht ungefragt herein: der Verlust des Arbeitsplatzes, ein schwerer Unfall, gesellschaftliche Konflikte …
Traurigsein kann aber auch damit zusammenhängen, dass wir eine Situation verfehlt haben. Etwa wenn jemand die Gelegenheit verpasst hat, einer anderen Person seine Liebe zu gestehen. Vor allem meldet sich Trauer zu Wort, wenn der Abschied von einem vertrauten Menschen ansteht: Wenn die Kinder das Haus verlassen. Wenn der Partner oder die Partnerin beruflich mehrere Monate ins Ausland reisen muss. In all diesen kleinen Abschieden klopft der ultimative Abschied an die Tür: der Tod.
Traurig sein zu können ist ein Zeichen seelischer Gesundheit und spricht für einen realistischen Blick auf die Wirklichkeit.
Aug’ in Aug’ mit Gott
Befreit der Glaube von Trauer und Schmerz? – Nein! Im Gegenteil: Der Glaube an Gott macht vielfach sogar unglücklich. Gott selbst macht unglücklich!
Gott hat uns aufgefordert, groß vom Menschen zu denken. Er hat uns ermöglicht, uns als Töchter und Söhne Gottes zu glauben und zu achten.
Doch je mehr wir Gott Glauben schenken und je größer wir vom Menschen denken, umso skandalöser wird, was Menschen einander antun. Und umso stärker verwundet das Schweigen Gottes. Es lehrt uns den Kreuzes-Schrei: „Wo bist du, Gott? Sei endlich Gott!“
Was hilft, damit das Traurigsein „glückt“?
Ein Erstes kann darin liegen, dass ich einem tristen Tag sein Daseinsrecht zugestehe. Dass ich mir den Schmerz wehtun lasse, der in einem Verlust oder in der himmelschreienden Not von Menschen steckt. Und dass ich der eigenen Trauer Zeit und Raum gebe und so meiner Seele gegenüber eine freundschaftliche Haltung einnehme.
Einen weiteren Hinweis gibt Dietrich Bonhoeffer, der 1944 in der Nazihaft schreibt: „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.“
Das Gerechte tun
Sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht lähmen lassen, sondern hier und jetzt das Leben in die Hand nehmen. Gott selbst ist es, der seine neue Welt aufbaut und am Ende der Zeit vollendet. Doch er baut sie aus den Steinen unserer Entscheidungen, unserer Tränen und unserer Liebe. Und deswegen haben die Weltgeschichte und die konkrete Lebensgeschichte eines jeden Menschen eine absolute Würde.
Beten schützt nicht vor Verzweiflung, wohl aber vor Gleichgültigkeit. Im Beten werden wir herausgefordert, dass wir uns der eigenen Not stellen und dass wir Augen und Herz für das Elend anderer öffnen. Gegen die eigene Trauer oder Ohnmacht anbeten zu wollen, ist ein nachvollziehbarer, aber ein infantiler Wunsch. Im Glauben eröffnet sich vielmehr ein Horizont, in dem Erfahrungen auch fremd und unverstanden bleiben dürfen – dank der Hoffnung, dass meine Klage und die Klage so vieler nicht im tauben Kosmos verhallt, sondern ein göttliches Du erreicht. Ein mitfühlendes, rettendes Du.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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