Kirche und Sexualität | Teil 10
Im Dialog über die Sexualmoral
Die Kirche hat gelernt, auf die Wissenschaften hinzuhören und ihre Erkenntnisse, die für das umfassende Verständnis der Sexualität unverzichtbar sind, ernst zu nehmen und in die Morallehre einfließen zu lassen. Es war notwendig, die Sexualität zu enttabuisieren, um sie als Geschenk Gottes neu wertschätzen zu lernen. In der christlichen Tradition ist die Sexualität zu einseitig auf die biologische Funktion der Zeugung reduziert worden. Die Humanwissenschaften haben aufgezeigt, dass der Sexualität biologisch neben der Zeugung auch die Funktion der sozialen Bindung zukommt. Sie ist eine vitale Kraft, die dazu drängt, über sich selbst hinauszuwachsen und tiefe, sinnerfüllte Beziehungen einzugehen und zu festigen.
Reine Triebbefriedigung macht den Menschen nicht glücklich
Die Sexualität und der sexuelle Trieb sind auch Ausdruck von Gefühlen, Wünschen und Grundbedürfnissen wie Gemeinschaft und Überwindung der Einsamkeit, Angenommensein und Geborgenheit, Zuneigung und Verbundenheit, Vertrauen und Verlässlichkeit, Freundschaft und Liebe: also all dessen, was auf personale Beziehung hinweist.
Reine Triebbefriedigung macht den Menschen nicht glücklich, sie überwindet Einsamkeit nicht. Erst eine in personale Liebe integrierte sexuelle Begegnung stiftet und festigt beglückende Beziehungen. Sexuelles Begehren und Lust, die von der personalen Liebe losgelöst werden, degradieren Menschen zu Objekten sexueller Erregung und Befriedigung, in der konkreten sexuellen Begegnung ebenso wie in der digitalisierten Form des Cybersex. Sexuelles Begehren hingegen, das leibliche und seelische Sehnsucht nach dem geliebten Menschen ist, und Lust, die sich an ihm erfreut, binden zwei Menschen aneinander und festigen ihre Beziehung.
Während die traditionelle Sexualmoral der Gefahr nicht widerstanden hat, die subjektive Erfahrung der Geschlechtslust abzuwerten und nur einer "Liebe ohne Eros" sittliche Güte zu bescheinigen, unterlag die sexuelle Revolution dem Irrtum, "Eros ohne Liebe", also größtmögliche subjektive Lusterfahrung und sexuelle Stimulierung sei glückende Sexualität. Beide Tendenzen mussten erkennen, dass sich die unterschiedlichen Ebenen der personalen Liebe nicht voneinander trennen lassen: Die Geschlechtlichkeit kann nicht von der Sexualität als Ausdruck der Affektivität, diese wiederum nicht von der Person und ihrer Sehnsucht nach Gemeinschaft getrennt werden.
Der Schlüssel zu einer gelingenden Sexualität liegt in der personalen Liebe: Sie bettet Sexualität ein in die leiblich vollzogene, vertrauens- und liebevolle Hingabe an die geliebte Person, die ihrerseits zugleich auch ganz angenommen wird im sexuellen Empfang ihres Leibes. Die Sexualität wird zur körperlichen Sprache der personalen Liebe, die sexuelle Begegnung zum leiblich vollzogenen "Liebesgedicht". Dabei gibt es unterschiedliche Weisen der sexuellen Begegnung und eine Stufenleiter der Zärtlichkeit: eine Gradualität an Intimität, die vom ersten Kuss über Umarmung und Streicheln bis hin zum vollzogenen Geschlechtsakt reicht.
Zur Realität personaler Liebe gehört ihr Reifeprozess von der vorwiegend affektiv geprägten Verliebtheitsphase hin zur gegenseitigen Annahme, die auch im festen Willen besteht, zur geliebten Person zu stehen "in guten wie in bösen Tagen".
Erfahrungen einer spürbaren Gebrochenheit und Begrenztheit der menschlichen Hingabefähigkeit sind unausweichlich. Sie gilt es auszuhalten, ohne dass eine Beziehung gleich in Frage gestellt wird.
Beziehung nicht überfordern
Eine Beziehung braucht Verlässlichkeit, um Belastungen gemeinsam bestehen zu können. Ebenso müssen zu hohe Ansprüche oder Glückserwartungen auf ein realistisches Maß heruntergebrochen werden, damit eine Beziehung nicht überfordert wird. Das offene Gespräch darüber, aber auch über Wünsche, Bedürfnisse oder Vorlieben im Bereich der Sexualität gehört zum Reifeprozess ebenso dazu wie die Bereitschaft und Fähigkeit, auf die Bedürfnisse des Partners bzw. der Partnerin einzugehen und so seine bzw. ihre ganz persönliche Sprache der Liebe zu erlernen.
Entscheidend ist, dass die leiblich vollzogene Sprache der Liebe sowohl der psychischen Reife der Partner angemessen ist als auch der Qualität und Intensität der Beziehung entspricht, dass sie aber auch die konkreten, oft sich unterscheidenden Wünsche und Bedürfnisse der Partner berücksichtigt. Dieses rücksichtsvolle Eingehen auf die Bedürfnisse des Partners bzw. der Partnerin verlangt nicht selten die Bereitschaft, auf eigene Bedürfnis- und Wunscherfüllung zu verzichten. Dies bedarf der Beziehungsarbeit und der Pflege einer Kultur der Schamhaftigkeit, nämlich zu respektieren, wann und wie weit sich die geliebte Person seelisch öffnen und leiblich hingeben möchte.
Die Scham, die nicht mit sexueller Verklemmung verwechselt werden darf, ist einerseits Respekt und Ehrfurcht vor der anderen Person, andererseits eine Form von angeborenem Schutzmechanismus. Sie wird zwar kulturell und pädagogisch geformt, ist aber nicht nur anerzogen; sie wird höchstens aberzogen. Gerade weil ein Mensch im Bereich des Geschlechtlichen nicht nur am Körper, sondern an der Seele berührt wird und verletzlich ist, öffnet und entblößt er sich nicht vor irgendjemandem, sondern nur vor jenem, dem er vertrauen und sich anvertrauen kann.
Deshalb sind Missbrauch, sexuelle Nötigung und Gewalt so schlimm, weil sie der Psyche des Opfers tiefe Wunden schlagen, die nicht so verheilen wie körperliche Verletzungen. In diesem Sinn funktioniert die sexuelle Begegnung eben nicht nur als Begegnung zweier Körper, die wie eine Turnübung erlernt und technisch perfektioniert werden könnte.
Spannung zwischen Selbsthingabe und Bei-sich-Bleiben
Die Liebe hat Verlangen nach der geliebten Person, nimmt sie aber nicht in Besitz. Sie erfreut sich daran, die geliebte Person tiefer zu erkennen, und staunt zugleich darüber, dass sie immer auch Geheimnis bleibt. Zur reifen Liebe und zu den Bedingungen glückender Sexualität gehört die Fähigkeit, die Spannung zwischen Selbsthingabe und Bei-sich-Bleiben auszuhalten. Die Liebe strebt nach Vereinigung, aber nicht in Form von symbiotischer Verschmelzung. Sie überwindet Einsamkeit und wahrt dennoch die Individualität. Die personale Vereinigung ist gekennzeichnet durch das Wechselspiel zwischen ganzheitlicher Hingabe und Wahrung der eigenen Autonomie: "In der Liebe kommt es zu dem Paradoxon, dass zwei Wesen eins werden und trotzdem zwei bleiben." (Erich Fromm)
Würde der Geschlechtspartner
Da die Geschlechtsgemeinschaft den körperlichen Vollzug von personaler Ganzhingabe und -annahme bedeutet, betont die Kirche, dass sie nur dann glücken kann und der Würde der Geschlechtspartner entspricht, wenn sie in eine Beziehung der Treue und Dauer eingebettet ist und wenn sie die Dimension der Fruchtbarkeit annimmt, die in die Biologie der Sexualität mit eingeschrieben ist. Deshalb behält die Kirche folgerichtig die rechtmäßige volle Geschlechtsgemeinschaft einer für Kinder offenen Lebensgemeinschaft vor, wie sie in der Ehe Erfüllung findet.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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