ADVENT – menschlich betrachtet | Teil 1
Heil sein in einer unheilvollen Welt
Mit ELISABETH LUKAS
LOGOTHERAPEUTIN & BUCHAUTORIN
Advent. Was kann der Advent für mich persönlich bedeuten? Dr. Elisabeth Lukas, Schülerin von Viktor E. Frankl, beleuchtet den Advent aus der „menschlichen“ Perspektive.
Der Advent ist eine erwartungsvolle Zeit. Wir erwarten ein frohes Fest – weniger prosaisch: die Ankunft eines Heils in unserer unheilvollen Welt. Allerdings empfehle ich in diesem Zusammenhang, sich auf den Unterschied zwischen Erwartung und Hoffnung zu besinnen. Denn jede Erwartung ist ein trügerischer Boden, der jederzeit in Richtung Enttäuschung einbrechen kann. Selbst Weihnachten hat sich schon in so mancher Familie als unfrohes Fest entpuppt. Und das Heil kommt, wenn, dann gerne unerkannt zu uns. Hoffnung hingegen ist von ganz anderer Qualität. Sie umrundet konkrete Ergebnisse von Wunschvorstellungen und tastet sich auf leisen Sohlen zu einem alles umfassenden Sinn vor, der größer ist als unser Begreifen und dennoch einen soliden Boden bildet, der unsere gesamte Existenz zu tragen vermag. Überlegen wir: Worauf können wir eigentlich hoffen?
In die Schublade des Schicksals
Das Schicksal wirft uns von Anfang an in irgendeine „Schublade“ hinein, und da stecken wir erst einmal drinnen. Vielleicht werden wir zur Pestzeit geboren, in einer Kriegszeit, in einer Wohlstandsepoche … wie es der Zufall so will. Mein Lehrer Viktor E. Frankl zum Beispiel wurde als Sohn jüdischer Eltern mitten in eine judenfeindliche Gesellschaft hinein geboren. Nur 100 Jahre später wäre es gleichgültig gewesen, ob seine Eltern jüdischen, christlichen oder muslimischen Glaubens sind, doch zu seiner Zeit war es die reine Katastrophe, die ihn dem Holocaust auslieferte. Wir werden in eine intakte oder zerstrittene, wohlhabende oder bettelarme Familie hineingeboren, in irgendeinen Winkel der Erde, in eine Luxuswiege oder in eine Krippe im Stall. Wir kommen als gesundes Baby zur Welt oder mit Behinderungen behaftet, mit überquellenden oder jämmerlichen Entwicklungschancen. Und das alles ist bloß der Anfang, dem eine lange Periode erheblicher Milieuabhängigkeit folgt.
Aber dann regt sich der menschliche Geist und hebt das Geschehen in eine neue Dimension. Die Person erwacht zum aktiven „Baumeister“ ihres Lebens – wie Frankl sagen würde – und beginnt aus dem ihr zugewiesenen „Baumaterial“ Ureigenes zu bauen. Freilich kann sie nur aus vorhandenen Ressourcen schöpfen, kann sie im Prozess des Bauens nur ihr Gewährtes verwenden, doch was sie daraus gestaltet, verdichtet sich zum Ausdruck ihres personalen Entscheidungsspielraums. Was hat doch Helen Keller aus ihrem eingeschränkten Startkapital gemacht! Wie hat Viktor E. Frankl sein KZ-Martyrium in eine glanzvolle Leistung verwandelt! Und wie sehr hat der Knabe aus der Krippe bis auf den heutigen Tag die Welt verändert! Ja, der „Baumeister“ kann aus dem kostbarsten „Marmor“ ein bedrückendes Gefängnis bauen, aber ebenso kann er aus primitiven „Holzblöcken“ eine gemütliche Heimstatt oder gar eine kleine Kathedrale errichten, deren Spitze gegen Himmel weist.
Worauf können wir hoffen?
Worauf können wir also hoffen? Gewiss nicht darauf, dass alles gut ausgeht, weder in unserem Individualleben noch als Kollektiv einer Erdbevölkerung. Nichts rüttelt daran, dass wir vergängliche Geschöpfe sind. Nein, die Hoffnung, die sich uns kontinuierlich anbietet, bezieht sich darauf, dass wir in der uns verbleibenden Zeit noch etwas Sinnvolles bewirken können. Seien es 30 Jahre oder drei Jahre oder drei Tage, die jemand noch vor sich hat – solange er bei klarem Bewusstsein ist, kann er an seinem „Lebensgebäude“ weiterbauen, kann er ein liebes Wort spenden, ein wichtiges Vorbild hinterlassen, einen Konflikt zum Guten wenden …, was es auch sei.
Diese Hoffnung besteht zu Recht, und sie gilt analog für unsere Spezies. Dass diese eines fernen Tages im planetarischen Wechselspiel von Entstehen und Vergehen verlöschen wird (oder sich verfrüht selbst auslöscht), ist nicht zu bezweifeln. Aber auch nicht, dass sie etwas Einmaliges und Einzigartiges im riesigen Weltraum darstellt und sich dieser ihrer Sonderstellung würdig erweisen sollte. So ist denn zu hoffen, dass auch die Menschheit, durch viele Krisen geläutert, noch in sinnvoller Weise expandieren wird in der ihr verbleibenden Zeit, seien es Jahrmillionen oder seien es Jahrzehnte. Wird sie ihre destruktiven und aggressiven Impulse allmählich zu bändigen vermögen und in die Empathie und praktizierte Nächstenliebe hineinwachsen? Vielleicht. Jeder kann dazu beitragen – aus jeder „Schublade“ heraus, in der er steckt.
Zukunftsvertrauen statt Zukunftsangst
Der Advent ist genau der richtige Moment, um die Zukunftsangst, die heute im Aufwind ist, gegen ein Zukunftsvertrauen auszutauschen, das auf dieser Hoffnung auf inneres Fortschreiten gründet. Um Gutes zu tun, brauchen wir nicht lange zu leben. Um Gutes zu tun, brauchen wir auf nichts zu warten und nichts zu erwarten. Um Gutes zu tun, brauchen wir nur dem Stern zu folgen, der uns hinführt zur wahren Menschwerdung. Brechen wir auf, machen wir uns auf den Weg, beginnen wir mit dem ersten Schritt am ersten Advent!
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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