Anstoß - Fastentraining mit dem Sonntagsblatt | Teil 01
Gegner und trotzdem Freunde
Herr Trapattoni, Sie verstehen sich – was man von einem Fußballtrainer nicht unbedingt erwartet – als ein Musikliebhaber und als ein religiöser Mensch. Was bedeutet Ihnen Religion?
Giovanni Trapattoni: Ich bin in einer gläubigen Familie auf die Welt gekommen und katholisch erzogen worden. Im Laufe des Lebens ist mir klar geworden, dass man Kraft und Ruhe aus dem Glauben schöpfen kann. Das betrifft nicht nur meine berufliche Tätigkeit, sondern das Leben überhaupt.
Mit dem Fußball bin ich viel gereist, ich bin in vielen Ländern gewesen. Ich habe auch Kontinente gesehen, in denen es den Menschen nicht so gut geht wie uns, in Afrika zum Beispiel. Ich danke Gott, dass ich das Glück gehabt habe, in einem Land wie Italien auf die Welt gekommen zu sein.
Sehen Sie im Fußball selbst auch Gemeinsamkeiten mit Religion?
Sehr viele Fußballspieler sind gläubige Menschen, ganz besonders die, die aus Südamerika kommen und aus Afrika. Ich sehe, wie sie sich bekreuzigen, bevor sie aufs Feld laufen. Es kann sein, dass sie im Laufe der Zeit, wenn sie dann reich und berühmt werden, den Bezug zum Glauben verlieren. Aber im Grunde genommen ist in ihnen drinnen dieses Feuer des Glaubens.
Jetzt zum Fußball: Welche Eigenschaften machen für Sie einen guten Spieler aus?
Ehrgeiz und Siegeswille sind Eigenschaften, die einen Spieler ausmachen. Auf dem Feld merkt man dann aber auch, wer menschliche Güte in sich hat. Vor allem aus dem Verhalten gegenüber dem Gegner wird die Frage der Fairness sichtbar. Fairness gehört zu den guten Eigenschaften.
Als Trainer haben Sie auch die Aufgabe, aus guten Einzelspielern gute Teamspieler zu machen. Wie gelingt das?
Ich habe nicht Psychologie studiert. Ich habe aber selbst Fußball gespielt, also kenne ich die Spieler. Ich kenne ihre Ängste, ihre Probleme, ihre guten und schlechten Momente. Ich versuche alles irgendwie in Betracht zu ziehen, immer ausgeglichen zu bleiben und dann in aller Ruhe zu analysieren.
Sind die selbstbewussten Spieler oder gar die Egoisten die besseren Spieler?
Spieler sind zum Teil auch Egoisten, die ihre Position verteidigen müssen. Sie sind Egoisten vielleicht in besonderen Momenten des Spieles, nicht wirklich untereinander, nicht innerhalb der Mannschaft. Es ist auch meine Aufgabe, solche Egoismen zu dämmen.
Wie sehen Sie Konkurrenz innerhalb des Teams?
Die Konkurrenz gehört auch zum Fußball. Es ist meine Aufgabe, zu den Spielern fair zu sein, mit jedem offen zu reden. Ich muss meinen Spielern in die Augen sehen können und sagen: „Heute spielt der und nicht du, aus diesem oder einem anderen Grund.“
Gibt es für Sie Wichtigeres als Fußball?
Ich bin als junger Mensch zum Fußball gekommen, mein Leben habe ich mit Fußball verbracht. Aber es ist mir klar, dass es noch Wichtigeres im Leben gibt. Die Armut in der Welt etwa. Es gibt so viele Menschen, denen es schlechter geht als uns. Und die Familie ist mir sehr wichtig. In ihr finde ich Ausgeglichenheit. Es ist schön, eine Rückhand in der Familie zu haben.
Jede Woche haben Sie mit einem neuen Gegner zu tun. Färbt das auf die Person ab?
In dem Bereich, aus dem ich komme, ist es ganz normal, immer hundertprozentig dabei zu sein und immer noch etwas draufzusetzen, um seine Arbeit richtig zu machen. Aber das ist überhaupt kein Problem, ich habe auch unter den anderen Trainern sehr viele Freunde. Vor dem Spiel und nach dem Spiel gehe ich zu ihnen und sage ihnen alles Gute, oder ich gratuliere ihnen zur Leistung ihrer Mannschaft. Natürlich: Während des Spieles sind wir dann Gegner.
Gibt es etwas, das Sie wütend macht?
Ich ärgere mich über die Konzentrationsfehler, die die Spieler machen. Ich war allerdings selbst Spieler, und ich weiß, dass auch dies dazu gehört.
Als Trainer können Sie nicht nur erfolgreich sein, und es gibt viel Druck von außen. Wie können Sie mit dem Druck leben?
Sie können im Laufe der Zeit die richtigen, die begründeten Kritiken von den anderen unterscheiden. Die unbegründeten, voreingenommenen Kritiken prallen an mir ab. Die setzen mich nicht unter Druck.
Können Sie unseren Leser/innen einen Tipp geben, wie sie besser mit Stress-Situationen, mit Druck, umgehen können?
Also: In der Früh aufstehen und Gott danken, dass wir in Österreich, Italien oder wo auch leben dürfen – in einem Land, in dem es nicht so viele Probleme gibt wie in drei Fünftel der restlichen Welt.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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