Spurensuche | Sommerserie Teil 10
Ein Haus, geprägt von Generationen
Was elf christliche Märtyrer gemeinsam haben und warum ihrer in Graz heute noch gedacht wird? Das kann man anhand der Geschichte eines ganz besonderen Hauses in der steirischen Landeshauptstadt ergründen. Ein Haus, – damals wie heute voller Leben –, das auch an die gewaltsamen Tode von elf Männern erinnern muss. Weil Friede leider immer noch nicht selbstverständlich ist.
Katharina Grager
John kam aus Schottland nach Kontinentaleuropa, wo er zum katholischen Glauben konvertierte, bei den Jesuiten eintrat und schließlich als Missionar in seine Heimat zurückging. Das wurde ihm 1615 zum Verhängnis. Man hat ihn wegen seines Glaubens hingerichtet. Markus wurde in der Diözese Agram (heute: Zagreb/Kroatien) geboren. Nach seiner Priesterweihe berief ihn der damalige Primas von Ungarn in eine seiner Diözesen. Bei einem Aufstand 1619 wurde er gemeinsam mit P. Stephan und einem weiteren Jesuiten gefangengenommen, gefoltert und schließlich ermordet. Der Grund: Alle drei wollten nicht von ihrem Glauben abschwören. Der in Oberschlesien geborene Johannes empfing die Priesterweihe in Brünn (heute: Brno/Tschechien). Danach folgten mehrere Seelsorgestellen. Doch dann brach der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) aus, und ChristInnen wurden einander zur Gefahr. Johannes bezahlte die konfessionellen Auseinandersetzungen als einer von vielen mit seinem Leben.
Was John, Markus, Stephan und Johannes verbindet? Sie haben für ihren katholischen Glauben den Tod auf sich genommen. Als Märtyrer wurden alle vier inzwischen heiliggesprochen: 1976 hl. John Ogilvie und 1995 hl. Markus Crisinus, hl. Stephan Pongrácz und hl. Johannes Sarkander. So wie ihnen erging es noch weiteren Männern in dieser Epoche: P. Matthias Burnatius, SJ., wurde 1629 von böhmischen Aufständischen ermordet. 1634 starb P. Jeremias Fischer, SJ., in Niederschlesien bei Unruhen. Der China-Missionar P. Wolfgang Koffler, SJ., wurde 1615 während eines Tartaren-Aufstandes getötet. An den Folgen einer Vergiftung starb P. Johannes Ratkai, SJ., 1683, während er als Missionar bei Indigenen in Mexiko wirkte. Auf verschiedenen Inseln im Pazifik war P. Karl Borango, SJ., als Missionar tätig. 1684 ermordeten ihn Aufständische auf einer Marianeninsel. Während seines Missionseinsatzes im Fernen Osten starb P. Johann Bapt. Messari, SJ., in einem Kerker in Tonkin in Vietnam. Zacharias Anthelius, der einzige Laie unter den bisher Genannten, wurde wegen seines Glaubens 1630 in Stockholm mit dem Schwert hingerichtet.
Eines haben diese Männer, außer ihrem gewaltvollen Tod wegen ihres Glaubens, noch gemeinsam: Graz, konkret das Kolleg der Jesuiten, war für ein oder mehrere Jahre ihr Lebensmittelpunkt und Studienort. Daher werden sie als „Die seligen Märtyrer des Grazer Jesuitenkollegs“ verehrt. Das Wissen um die elf ehemaligen Schüler und Studenten ist dem einst in Graz wirkenden Jesuitenprofessor P. Michael Bonbardi zu verdanken. 1727 veröffentlichte er unter dem Titel „Undeni Græcenses Academici suo sanguine purpurati“ ausführliche Lebensbeschreibungen dieser elf Märtyrer, mit besonderem Hinweis auf ihre Beziehung zum Grazer Jesuitenkolleg.
Wer heute nach Graz kommt oder auf einer Karte nachschaut, wird kein Jesuitenkolleg mehr finden. Seit 2007 gibt es nach längerer Unterbrechung wieder eine kleine Jesuitenkommunität in Graz. Ihr Wohnsitz erinnert an einen ihrer heiligen Vorfahren: das John-Ogilvie-Haus. Das Gebäude des ehemaligen Jesuitenkollegs steht aber noch. Die Zeit hat viel Wandel in seine Mauern gebracht. Als eines der letzten weitgehend im Originalzustand erhalten gebliebenen Jesuitenkollegien Mitteleuropas wird der weitläufige Gebäudekomplex seit 1808 vorwiegend als Priesterseminar genutzt.
Ein stummer Zeuge von Veränderung erwartet Besuchende in dessen Hof, übrigens dem größten der Grazer Innenstadt – ein Schneemann. Auch im Sommer?, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Ja, auch wenn die Stadt ihren mediterranen Charme versprüht, steht der Schneemann dort und blickt durch eine Wasserlacke in seine eigene Zukunft. Theoretisch. Denn dieser besondere Schneemann wurde vom Grazer Künstler Manfred Erjautz aus Marmor gestaltet und kann damit gar nicht werden, was er betrachtet. Kalt ist er so aber auch meistens.
Im Eingangsbereich, ein Stockwerk höher, findet sich eine große Gedenktafel mit den Namen der elf Märtyrer des Jesuitenkollegs. „Erinnern ist Arbeiten an der Zukunft“, formulierte die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann einmal. Die Martyrien der elf Männer erinnern uns eindrücklich daran, dass ein gutes Einvernehmen von ChristInnen untereinander, und zwischen den Menschen überhaupt, keine Selbstverständlichkeit, sondern Arbeit ist. Ein Thema von erschreckender Aktualität, wenn man einen Blick auf die Lage im Osten Europas wirft.
Auf den breiten Gängen des ehemaligen Jesuitenkollegs tummeln sich heute nicht mehr nur angehende Priester. Gleich wenn man die große Holztür in den kühlen Eingangsbereich durchschritten hat, erwartet Besuchende ein goldener Hinweis auf wertvolle Schaustücke kirchlicher Kunst. Das Diözesanmuseum Graz, das heuer sein 90-Jahr-Jubiläum begeht, zog 2009 mit Sack und Pack im Priesterseminargebäude ein. In den schönen Altbauräumen, der Eingangsbereich wartet bereits mit kunstvollen Deckenfresken auf, gestaltet das Museumsteam neben einer fixen Schausammlung jährlich mehrere thematische Ausstellungen. Zu besonderen Anlässen wird dabei auch fast das ganze Priesterseminar bespielt – wie es 2018 zum 800-Jahr-Jubiläum der Diözese der Fall war.
Neben den Ausstellungsräumen des Museums sind viele Räume des Gebäudes von ihrer Ausstattung her schon museumstauglich. So speisen HausbewohnerInnen und MitarbeiterInnen im großen Refektorium unter prachtvoller Stuck- und Kunstwerk-Kulisse. Der elegante Barocksaal wird gern für Veranstaltungen gemietet, und auch die moderne Priesterseminarkapelle, deren farbkräftige Fenster von Rudolf Szyszkowitz auch bei bedecktem Himmel Strahlkraft entfalten, ist ein Anziehungspunkt.
Vom Refektorium geht der Blick durch die Fenster hinaus ins Grüne. Obwohl das Priesterseminar in der Stadtkrone von Graz und damit mitten in der Innenstadt liegt, verfügt es über einen überraschend großen grünen Garten, den auch die Kinder der angrenzenden Schulen in ihren Pausen genießen dürfen. Neben Vogelgezwitscher kann jemand, der die Ohren genau aufsperrt, auch kleine Tiere hören und entdecken. Seit einigen Jahren leben, auch zur Freude der Schulkinder, im Priesterseminargarten Kaninchen, Meerschweinchen und weiteres Kleingetier in einem großen gemeinsamen Gehege – allesamt aus Tierheimen oder Auffangstationen gerettet.
So ist aus einem Haus mit langer Tradition heute kein verstaubter alter Kasten, sondern ein Haus voller Leben und Ideen geworden – inspiriert und mitgeprägt von vielen Generationen von Bewohnenden.
Zu Besuch in Graz:
Priesterseminar, Bürgergasse 2, 8010 Graz
priesterseminar.graz-seckau.at
Diözesanmuseum – Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr
Samstag, Sonn- & Feiertag: 11 bis 17 Uhr
Eigene Führungen durch das Priesterseminar oder die angrenzende Stadtkrone mit Dom und Mausoleum können jederzeit im Museum gebucht werden.
Kontakt: Telefon: +43 (316) 8041-890
E-Mail: dioezesanmuseum@graz-seckau.at
www.dioezesanmuseum.at
Lebensspuren
mit Barbara Karlich
Alte Häuser sind so eine Sache – neben gefühlt ständigem Renovierungsbedarf und damit finanziell meist sehr hohem Aufwand bieten sie etwas Unvergleichliches: Geschichte zum Anschauen und Anfassen. Wer im Refektorium des Grazer Priesterseminars speist, reiht sich ein in die unzählbare Menge von Menschen, die über viele hundert Jahre hier ebenfalls zu Tisch saßen. Vielleicht nicht an denselben Tischen wie heute, aber mit Blick auf die gleichen kunstvollen Gemälde und die bezaubernden Stuckaturen.
Konflikte austragen
Auch bei alten, sichtbar ausgetretenen Stiegenhäusern kommt es mir oft in den Sinn: Wer hier wohl schon alles seinen Fuß hingesetzt haben könnte. Denn wir leben nicht im zeit- und geschichtslosen Raum. Die Menschen, die vor uns lebten, haben uns neben Gebäuden auch Geschichte(n) hinterlassen. Die elf Märtyrer vom Grazer Jesuitenkolleg zum Beispiel. Ihre dramatischen Lebensgeschichten, besonders deren gewaltvolle Tode, wollen uns mahnen.
Wo Menschen zusammenkommen, wird es immer Konfliktpotenzial geben. Doch auf die Art und Weise, wie wir unsere Konflikte austragen, kommt es an. Wir leben im 21. Jahrhundert. Wir sollten aus den Fehlern unserer Vorgänger gelernt haben. Haben wir?
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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