Die Kunst des Vergebens | Teil 01
Ein Fenster zum Licht

Ein Fenster zum Licht kann bedeuten, Freundschaften zu pflegen, die gut tun. | Foto: Fotolia
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Mir hat jemand ganz übel mitgespielt! Wie oft ich die verletzende Situation auch durchkaue, sie stößt mir immer wieder sauer auf. Ich werde einfach nicht fertig mit ihr.“ Solche Erfahrungen kennt wohl jede und jeder. Denn: Es gibt kein Leben ohne Kränkungen!

Jeden Tag kann es geschehen, dass uns andere verletzen. Ungerechte Kritik, verletztes Vertrauen, Bloßstellung durch eine Kollegin, unerwiderte Liebe – all das schmerzt! Während wir mit leichten „Blessuren“ meist fertig werden, lässt sich eine schwere Kränkung nicht einfach wegstecken. Wohin denn auch? Ruhelos kreisen unsere Gedanken um die andere Person, und empört schreit es in uns auf: „Wie konntest du mir das antun?!“

Manche meinen, dass es ein Ausdruck von Selbstachtung sei, wenn sie ihren Zorn auf die andere Person pflegen. Davon überzeugt, dass sie sich „eine solche Unverschämtheit“ nicht gefallen lassen dürfen, nähren sie ihre Wut. Doch wer schwelenden Groll und negative Gedanken dauerhaft mit sich herumträgt, belastet vor allem sich selbst. Solange wir jemandem eine Verletzung nachtragen, sind nämlich wir es, die schwer daran tragen: Wir leben mit der Last der vergifteten Gefühle und Erinnerungen.

Vielleicht leiden auch Sie unter einer schweren Kränkung und wollen die Last von Ihrer Seele abwerfen. Und Sie fragen sich: Wie geht das? Wie bewältige ich das Geschehene so, dass es mein Leben nicht auf Dauer blockiert und mir Leichtigkeit und Lebensfreude raubt? Wie finde ich inneren Frieden und den Mut, mich neu einem Menschen anzuvertrauen?

Eine heilende Weise, den Verwundungen des Lebens zu begegnen, ist der Prozess des Vergebens. Wer verzeiht, lässt – Schritt für Schritt – das Erlittene los und befreit sich so von dem, was ihm angetan wurde. Wer vergibt, verwandelt Wunden in neue Lebensmöglichkeiten. Er findet zu einem tieferen Einverständnis mit sich und kann seine Beziehungen erfüllender gestalten. Ich bin davon überzeugt: Unser Lebensglück hängt entscheidend davon ab, ob wir vergeben können!

Zeige deine Wunde

„Zeige deine Wunde“ – so lautete der Titel einer Rauminstallation von Joseph Beuys im Lenbachhaus in München. Seine Installa­­tion gibt einen Wink, wie günstige Bedingungen zur Wundheilung aussehen: Eine äußere Wunde muss bluten können, und es muss Luft an sie herankommen.

Auch seelische Verletzungen heilen nur, wenn wir sie nicht allzu schnell zupflastern. Wenn der Schmerz und Kränkungsgefühle wie Wut, Scham oder Angst ans Licht kommen dürfen. Nur wenn diese Empfindungen zugelassen und durchlebt werden, können sie sich verwandeln. Konkret kann dies bedeuten: Ich erinnere mich an die verletzende Situation; an das, was damals geschehen ist und wie ich die ganze Sache erlebt habe. Und ich spüre, wie groß meine Wut über das zugefügte Unrecht heute noch ist. Wie sehr mir die Angst im Nacken sitzt. Wie gerne ich es der anderen „doppelt und dreifach“ heimzahlen würde.


Ein Fenster zum Licht

Dass diese innere Reise, die an den Ort einer Verletzung zurückführt, Angst weckt, ist nachvollziehbar. Denn wer mag sich schon an das kränkende Ereignis erinnern und es emotional nacherleben? Wer will sich schon gerne beschämt, hilflos, elend, ausgegrenzt fühlen? Doch der erste Schritt zur Heilung ist, innerlich zum „Ort“ des Geschehens zurückzukehren und die eigene Wunde wahrzunehmen.

Um diesen Weg gut gehen zu können, ist es wichtig, ihn nicht allein zu gehen. Manche reagieren auf eine schwere Kränkung jedoch mit Rückzug. Insbesondere neigen Männer häufiger dazu, sich wie ein einsamer Wolf zu isolieren. Sie trauen sich nicht mehr, Gefühle zu spüren, geschweige denn zu zeigen. Sie haben verlernt, Wünsche zu äußern, und bauen allein auf sich selbst. Doch diese scheinbare Stärke und Unabhängigkeit führt auf Dauer nicht weiter. Vielmehr gilt es gerade nach tiefgehenden Kränkungen, Freundschaften mit Menschen zu pflegen, deren Gegenwart einem gut tut. Auf diese Weise kann das verlorene Vertrauen allmählich nachwachsen. Auch für den Prozess des Verzeihens selbst ist es von großer Bedeutung, dass wir mit jemandem im Gespräch sind, dem wir uns offen und ehrlich anvertrauen können.

Wenn wir uns mit unserer Wunde jemandem zeigen, die gut zuhört und uns versteht, können wir erfahren: „Ich bin nicht allein in meinem Leid.“ Denn darin liegt ja einer der qualvollen Aspekte einer Wunde: das Gefühl, diese Last allein tragen zu müssen. Indem wir uns öffnen, wird sich auch die eigene schwierige Lebenssituation ein wenig öffnen. Es kann sich ein Fenster zum Licht auftun.

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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