Quelle des Segens - Schritte zu einer lebendigen Liturgie | Teil 01
Der Banalität widerstehen – das Heilige hüten
Liturgie ist ein Ort und eine Zeit für die Begegnung mit dem heiligen Gott in einer Situation seiner verdichteten Gegenwart.
Das Neue Testament ist eine vielgliedrige Ausfaltung der Botschaft, dass Gott in Jesus von Nazaret Mensch geworden ist. Von ihm bekennt Petrus: „Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,69). Die Heiligkeit Gottes will auch Menschen erfassen und will sie in einem beseligenden, aber oft auch schmerzhaft läuternden Geschehen der Verwandlung immer mehr zu einem Licht machen, das vielen im Haus der Kirche und in der gesamten Gesellschaft leuchtet. Auch Dinge, die auf besondere Weise für Gott und für den Gottesdienst bestimmt sind und daher besonders auf Gott hinweisen, werden heilig genannt. Sie sind „heilige Zeichen“. Ihnen gilt etwas von der Ehrfurcht, die Gott allein uneingeschränkt gebührt.
Die Liturgie der Kirche ist ein Kosmos, der aus solchen „heiligen Zeichen“ zusammengefügt ist. Heiliger Raum, heiliges Wort, heiliger Klang, heilige Gebärde und heilige Zeit sind hier in einer katholischen Synthese vereint, wenn diese Liturgie wirklich jene Gestalt hat, die ihr von der kirchlichen Tradition und von der liturgischen Bewegung vor und seit dem II. Vatikanischen Konzil zugedacht ist. Das Heilige im Menschen wird verletzt durch Sünde in allen ihren Gestalten. Das Heilige in den Dingen, in den heiligen Zeichen der Liturgie, wird verletzt durch deren Auslieferung an Respektlosigkeit und vielgestaltige Banalität.
Was banal ist, lässt sich nicht randscharf sagen. Der verstorbene Bischof von Rottenburg–Stuttgart, Georg Moser, hat zeitkritisch von der drohenden Banalität eines Daseins gesprochen, das kein Geheimnis mehr kennt, und hat eine Allianz zwischen Kunst und Kirche gegen diese Banalisierung ersehnt. Andere haben vor einer kollektiven Grundstimmung der Unaufhörlichkeit gewarnt – vor einem Leben ohne wirkliche Schwellen, vor einem Leben „ohne Trost noch Traum“, wie Marie Luise Kaschnitz es in ihrem Gedicht „Tutzinger Liedkreis“ zum Ausdruck gebracht hat. Der protestantische Theologe Paul Tillich hat wortmächtig auf die „Dimension Tiefe“ verwiesen, in der das Heilige begegnet und sich erschließt.
Liturgie ist ein Ort und eine Zeit für die Begegnung mit dem heiligen Gott in einer Situation seiner verdichteten Gegenwart. Eine Banalisierung der Liturgie, die von den dafür Verantwortlichen meist gar nicht als solche wahrgenommen wird, erschwert diese Begegnung. Liturgie ist aber zugleich auch ein Ort und eine Zeit der Begegnung mit Menschen, die hier gemeinsam feiern. Und schließlich führt Liturgie, wenn sie ihrem Wesen gerecht ist, auch zu einer tieferen Begegnung des Menschen mit sich selbst.
All das ereignet sich freilich nur, wenn Liturgie zuerst und zuletzt wirklich Gottesdienst ist: also eine liebende Selbstüberschreitung auf den Dreifaltigen Gott hin, der sich in der Eucharistiefeier selbst liebend überschreitet. Eine Gemeinde, die unter dem Titel „Gottesdienst“ faktisch und dessen kaum bewusst vor allem sich selbst, also das eigene festliche Miteinander feiert, verrät diesen Anspruch und verschließt sich eine Quelle großen Segens.
Dr. Egon Kapellari, Diözesanbischof
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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